- Die EU braucht einen Plan B, sollte das Flüchtlingsabkommen mit der Türkei scheitern
- Dieser würde die EU radikal verändern
Wie sicher ist der Plan A der EU, sich auf einen Flüchtlingspakt mit der Türkei zu verlassen?
Seit dem gescheiterten Militärputsch in der Türkei eskaliert der Konflikt zwischen Ankara und Brüssel. Nicht wenige Experten warnen: Der Pakt könnte schon bald scheitern.
So sprach auch EU-Kommissionspräsident Juncker am Samstag von einem “hohen Risiko”, dass das passieren könne. Und der griechische Migrationsminister Mouzalas sagte laut “Bild”: “Wir sind sehr beunruhigt. Wir brauchen in jedem Fall einen Plan B”.
Zwar dementierte die griechische Regierung später das Zitat.
Das ändert aber nichts daran, dass ein Scheitern des Abkommens vielen Politikern Sorgen bereitet. Denn es hätte massive Konsequenzen. Die Zahl der Flüchtlinge, die dann wieder nach Europa kämen, würde wieder steigen. Darin sind sich fast alle Beobachter einig.
Aber was müsste in der EU passieren, wenn das Abkommen tatsächlich scheitert?
Eins ist klar: Ein Plan B würde die Staatengemeinschaft massiv verändern. Er würde allerdings auch Chancen bergen: Und zwar, dass die EU-Staaten – gezwungenermaßen – das Flüchtlingsproblem gemeinsam angehen. Bislang hatten sie es in die Türkei ausgelagert.
Flüchtlingszahlen würden wieder steigen
Bei einem Scheitern des Abkommens würde Erdogan Flüchtlinge nicht mehr davon abhalten, über das Mittelmeer nach Griechenland zu kommen. Bevor das Flüchtlingsabkommen in Kraft trat, kamen tausende Flüchtlinge am Tag an den Küsten Griechenlands an.
Ob es wieder so viele werden, ist nicht klar. Experten gehen davon aus, dass es deutlich weniger werden.
“Es hat sich unter den Flüchtlingen herumgesprochen, dass die Balkanroute dicht ist”, sagte Günter Meyer, Leiter des Zentrums für Forschung zur Arabischen Welt der Universität Mainz, gegenüber der Huffington Post. “Sie haben kaum eine Chance, aus einem griechischen Flüchtlingslager nach Norden zu kommen.”
Kein Fährverkehr mehr, Hotspots auf Griechenlands Inseln
Kurzfristig müsste ein Plan B also vor allem Griechenland Hilfe mit den steigenden Flüchtlingszahlen leisten.
Auf den Inseln könnten Mega-Hotspots innerhalb weniger Wochen eröffnet werden, wo Flüchtlinge registriert, für kurze Zeit untergebracht und versorgt werden und anschließend auf willige EU-Länder verteilt werden – allen voran Deutschland. Der Fährverkehr zum Festland würde eingestellt werden, um Flüchtlinge an der Weiterreise zu hindern.
Da Griechenland das nicht alleine stemmen kann, müssten EU-Staaten Beamte als Unterstützung schicken. Außerdem müssten die bis zu sechs Milliarden Euro schweren Hilfen für die Türkei eingefroren werden und direkt an Griechenland gehen.
Mehr Zäune in Europa, mehr Militär im Mittelmeer
Vermutlich müssten sich die EU-Staaten auf Drängen der Balkan-Staaten unter Führung von Österreich darauf einigen, die inner- und außereuropäischen Grenzen stärker zu sichern: Österreich würde weitere Zäune hochziehen. Entsprechende Vorbereitungen gibt es schon. Und auch die EU-Mittelmeermission gegen Schlepper würde verstärkt werden.
Der CDU-Innenexperte Armin Schuster forderte in der Huffington Post bereits im März für einen solchen Fall ein strikteres Grenzmanagement auch für Deutschland. “Wenn die Türkei das Abkommen auf Eis legt, gibt es für Europa eine zweite Chance, endliche das ganz Richtige zu tun”, sagte er im Gespräch mit der Huffington Post. “Die Bundesregierung sollte unsere Nachbarländer unterstützen und notfalls ebenfalls die Grenzen konsequent kontrollieren”, sagte er.
Migrationspartnerschaft mit anderen Staaten
Gleichzeitig würden die europäischen Kernländer wieder ihre Flüchtlingsinfrastruktur hochfahren, die bislang auf Pause steht. In Deutschland etwa sind etliche Erstaufnahmeeinrichtungen wieder geschlossen worden, nachdem die Flüchtlingszahlen zurückgingen.
Auf lange Sicht würde die EU sogenannte Migrationspartnerschaften mit anderen Ländern als der Türkei aushandeln. Entsprechende Pläne gibt es sogar schon.
Diese ähneln dem Deal mit Ankara: Staaten, die sich bereits erklären, irreguläre Flüchtlinge zurückzunehmen, bekommen Handelserleichterungen und Geldmittel aus Brüssel in Aussicht gestellt. Als Vorbild für die Zusammenarbeit soll laut EU-Kommission die Türkei dienen.
“Wir wollen vielmehr maßgeschneiderte Maßnahmen für jedes einzelne Land.” Laut Avramopoulos geht es um die Rücknahme illegaler Migranten, den Kampf gegen Menschenschmuggler oder Grenzschutz. Unkooperativen Staaten wird dagegen mit “Konsequenzen” gedroht.
Auch Länder aus Asien und Afrika könnten dazukommen
Zu den ausgewählten Ländern gehören Tunesien, Niger, Äthiopien, Mali, Senegal, Nigeria und Libyen sowie die Nahoststaaten Jordanien und Libanon.
Im Laufe der Zeit könnten aber noch weitere Länder in Afrika und Asien dazukommen.
“Wir wollen mit jedem dieser neun Staaten verschiedene Vereinbarungen treffen. Wir wollen sie überzeugen, dass sie illegale Migranten wieder zurücknehmen. Wir möchten zudem erreichen, dass diese Länder konsequent gegen Menschenschmuggler vorgehen und dass sie ihre Grenzen wirksam sichern“, sagte der EU-Kommissar aus Griechenland.
Außerdem wolle Brüssel mit Staaten, die in unmittelbarer Nähe zu den Herkunftsländern der Flüchtlinge liegen, vereinbaren, dass sie den Menschen noch stärker als bisher eine sichere Aufnahme nahe der Heimat gewähren.
Dabei will Brüssel den Staaten auch mehr Geld in Aussicht stellen. Aus vorhandenen Mitteln sollen dafür bis 2020 etwa acht Milliarden Euro eingesetzt werden, wie EU-Migrationskommissar Dimitris Avramopoulos laut einem Medienbericht sagte.