Täglich verkehren Busse zwischen dem Libanon und dem kriegsgebeutelten Syrien. Es geht über Nebenstrecken und Umwege im großen Bogen um Gebiete, in denen gekämpft wird – stundenlang. Immer wieder werden Busse mit Zivilisten zur Zielscheibe im Krieg in Syrien.
Von Sabine Rossi, ARD-Studio Kairo
Es ist Frühstückszeit am Busbahnhof Charles Hellou in Beirut. Die Gepäckklappe des Reisebusses steht offen. Feinsäuberlich aufgereiht: Eier, ein Gaskocher, eine Plastikdose mit Oliven. “Die sind aus Aleppo, meiner Heimatstadt”, sagt Mahmud und stellt die Oliven auf eine Steinbank, die er kurzfristig zum Tisch umfunktioniert hat.
Mahmud sitzt in Jogginghose auf einem weißen Plastikstuhl und nippt an einem Becher mit heißem süßem Tee. Ein- bis zweimal in der Woche fährt der Busfahrer von der libanesischen Hauptstadt Beirut ins umkämpfte Aleppo in Syrien. Erst gestern ist er von dort angekommen. “Gott sei Dank, der Weg ist sicher”, erzählt er, “es gibt keine Bewaffneten. Die reguläre Armee ist dort, und die Checkpoints sind von der Regierung.”
Von Checkpoint zu Checkpoint
Die Hauptroute von Beirut nach Aleppo fahren sie schon lange nicht mehr. Es geht über Nebenstraßen, auf Umwegen, im großen Bogen an Idlib vorbei. In der Provinz sind zahlreiche bewaffnete Gruppen aktiv. Eine davon die Al-Nusra, der syrische Ableger von Al-Qaida.
Vor ein paar Wochen war auch diese Strecke gesperrt. Mahmud und sein Assistent Mohammed haben tagelang in Beirut gewartet. Andere Kollegen hätten unterwegs festgesteckt, an Mini-Raststätten mit einem kleinen Restaurant und ein paar Toiletten oder an den Checkpoints, den Kontrollpunkten des Regimes. Entlang der Straße in Syrien gibt es viele davon.
Wegzoll für die Sicherheit
Sie sind Segen und Fluch zugleich. “An den Checkpoints erfahren wir, wie der Weg ist”, sagt Mahmud. Dort bekämen sie mitgeteilt, ob es Kämpfe gibt, Anschläge oder ähnliches. “Manchmal lassen sie uns nicht durch.”
Sie, das sind entweder die Soldaten der syrischen Armee – und auf die lassen Mahmud und Mohammed nichts kommen. Oder es sind die sogenannten Nationalen Verteidigungskräfte, syrische Milizen, die für das Regime kämpfen – und von den Busfahrern eine Art Wegzoll verlangen. Zum Tausch versprechen sie Sicherheit.
Anschläge auf Busse
Mohammed und Mahmud kennen etliche Geschichten über Anschläge auf Busse. Erst wenige Tage zuvor hätten Bewaffnete in der Nähe von Aleppo das Feuer auf einen Bus eröffnet und den Fahrer getötet, sagt Mahmud. In Beirut hat er davon im Radio gehört: “Sie zielen nicht auf den Bus oder auf die Fahrgäste. Sie zielen auf den Fahrer oder auf die Reifen. Damit wollen sie den Bus ins Schleudern bringen, einen Unfall herbeiführen.”
Dann würden die Kämpfer den Bus stürmen. Was danach passiere? Die beiden schweigen und nippen an den weißen Plastikbechern mit Tee. “Wenn du in der Dunkelheit unterwegs bist, ist es gefährlicher”, sagt Mahmud schließlich. Deshalb fahren die Busse in Beirut am späten Abend oder in der Nacht ab. “Wenn wir an der Grenze ankommen, wird es hell”, sagt er. “Danach können wir sicher fahren und kommen mittags gegen eins oder zwei an.”
Nach Hause in den Krieg
Der Busbahnhof am späten Abend. Fahrer Mahmud hat die Jogginghose gegen eine graue Jeans getauscht. Das gestreifte Poloshirt ist gebügelt. Sein Assistent Mohammed steht an der Gepäckklappe, hilft den Männern, die schweren Koffer zu verstauen und weist den Frauen die Sitzplätze zu.
Neben der Bank, auf der Mahmud am Morgen die Oliven serviert hat, steht Samah. Das Kopftuch der jungen Frau ist leuchtend pink, genauso wie ihre Turnschuhe. Auf dem Arm hält sie ihre jüngste Tochter. Selma ist in Libanon geboren. Seit gut zwei Jahren lebt die Familie in Beirut. “Ich sehne mich sehr danach, Aleppo zu sehen”, sagt sie. Aber sie habe Angst: “Denn ich weiß nicht, was auf dem Weg ist.”
Sie versucht zu lachen. Als die Tränen rollen, lehnt sie den Kopf an die Schulter ihres Mannes. Er wird nicht mit nach Aleppo fahren. Er könne nicht freinehmen. “Und was wenn sie mich in Syrien zur Armee einziehen?”, fragt er. In Aleppo wartet morgen Mittag Samahs Familie auf sie. Alle Verwandten seien noch dort.
Abfahrt nach Aleppo
Auch Mahmud und Mohammed fahren nach Hause zu ihren Familien. Mahmuds Töchter sind bereits Teenager. Mohammeds Zwillinge sind vor kurzem drei Jahre alt geworden. An der Windschutzscheibe des Busses lehnt ein großer Teddybär. “Wollt ihr was aus Aleppo?”, ruft Mohammed. Dann schließt Mahmud die Tür und steuert den Bus los Richtung Aleppo.