Yazan Halwani ist erst 27 und bereits einer der wichtigsten Künstler des Libanon. Das Thema seiner neuesten Bilder ist das des Landes schlechthin: Migration.

Yazan Halwani: Der Künstler am Werk: Yazan Halwani vor einigen Bildern seiner aktuellen Ausstellung "Hotel Beirut"
Der Künstler am Werk: Yazan Halwani vor einigen Bildern seiner aktuellen Ausstellung “Hotel Beirut” © Mansour Dib

“Chaos. Das ist es, worum es in meiner Ausstellung geht. Ein Chaos, das alle Bereiche des Lebens im Libanon durchdringt.” Yazan Halwani, in seinem Heimatland Libanon berühmt geworden durch seine Calligraffiti-Kunst, einer Kombination aus arabischer Kalligrafie und Graffiti, steht umgeben von Gästen in einer Galerie im Westen Beiruts bei der Eröffnung seiner neuen Ausstellung Hotel Beirut. Zugewandt und geduldig beantwortet der 27-jährige Künstler .

An den Wänden um Halwani hängen zwei Dutzend Öl- und Acrylgemälde. In ihren Grautönen wirken die Motive düster und schwer: Unter der Tragfläche eines Flugzeugs erstreckt sich ein menschenleeres Beirut dessen Hochhäuser ineinander zu verschmelzen scheinen; einsam warten Menschen im dortigen Flughafen oder schieben sich durch Massen von Reisenden, deren Gesichter unkenntlich, verschwommen sind; vor dunklen, leeren Hintergründen türmen sich Stecker und Adapter vor Steckdosen aus allen Teilen der Erde, häufig passen sie nicht zusammen.

In drei Serien thematisieren die Bilder die eng mit der libanesischen Gesellschaft verwobene, schmerzvolle und entfremdende Erfahrung der Migration und deren strukturelle Ursachen. Seit über einem Jahrhundert treiben Kriege und akute Krisen, besonders aber die wirtschaftliche Situation des Landes Libanesen ins Ausland Während im Land aktuell rund fünf Millionen libanesische Staatsbürger leben, sollen es im Ausland bis zu 14 Millionen sein.

Widad Abou Chaar ist sichtlich berührt von den Bildern. “Sie drücken genau aus, was ich als libanesische Migrantin fühle”, sagt die junge Ärztin, die in Chicago lebt und auf Familienbesuch in Beirut ist. “Es gibt einfach keine Wahl, du musst gehen”, sagt sie. “Doch egal, wo wir ankommen, zu einem gewissen Grad bleiben wir Fremde und entfremden uns gleichzeitig von unserer Heimat.” Ähnlich also, wie es der Ausstellungstitel Hotel Beirut andeutet. Mit brüchiger Stimme fügt Widad Abou Chaar hinzu: “Jeder Flug ist von so viel Schmerz, Trauer und Nostalgie begleitet.”

Auch Yazan Halwani selbst lebt mittlerweile in London und kommt nur in unregelmäßigen Abständen nach Beirut zurück, wo er weiterhin ein Atelier unterhält. Einige Tage nach der Ausstellungseröffnung lädt er zum Gespräch in ein beliebtes Café-Bistro nahe der Galerie ein. Stockend beginnt er zu erzählen, doch ausgehend von seiner Ausstellung spannt er dann einen weiten Erzählbogen: über die tiefe Krise, in der sich der Libanon befindet, den Einfluss der Globalisierung auf das Land und die Rolle von Identitäten, Narrativen und Migration. Seine Kunst beleuchtet die komplexe Vergangenheit, Gegenwart und mögliche Zukunft der libanesischen Gesellschaft und bietet Einblicke in Migrationsidentitäten im 21. Jahrhundert weit über den Libanon hinaus. Während des Gesprächs wird aber schnell deutlich: Wer die Arbeiten dieses Künstlers wirklich verstehen möchte, muss sich zuerst mit der Person Yazan Halwani selbst auseinandersetzen.

Eine vereinende, gemeinsame Identität

Halwani wurde 1993 geboren, er gehört damit der ersten libanesischen Nachkriegsgeneration an. Im Bürgerkrieg dort zwischen 1975 und 1990 hatten die Konfliktparteien die Spaltung der Gesellschaft entlang konfessioneller Linien befördert und von ihr profitiert. Auch nach Kriegsende sicherte diese Spaltung den rehabilitierten Parteien weiterhin Einfluss und Macht. Deshalb hatten sie kein Interesse an einem Versöhnungsprozess, an kritischer Aufarbeitung, an öffentlicher Erinnerung. War der Krieg durch Ruinen und Kriegsversehrte auch allgegenwärtig, wurde er weder im Klassenzimmer noch im öffentlichen Raum thematisiert. Große Teile der Nachgeborenen wuchsen mit selektiven Erinnerungen der Eltern in durch den Krieg geschaffenen konfessionellen Enklaven auf, die manche von ihnen bis heute kaum verlassen.

Nicht so Halwani. Der Sohn einer muslimischen Familie aus Westbeirut besuchte das renommierte säkulare Grand Lycée Franco-Libanais im christlich geprägten Osten Beiruts, in Aschrafieh. All seine engsten Freunde waren Christen. “Auf diese Weise”, sagt er, “wuchs ich nicht an einem Ort mit einer Perspektive auf. Ein Teil meines Umfelds verehrte Bachir Gemayel, einen christlich-nationalistischen politischen Führer, der im Bürgerkrieg ermordet wurde, als Gott – ein anderer Teil sah den Teufel in ihm. Dieses Erleben unterschiedlicher Narrative nährte in mir den Wunsch, eine vereinende, gemeinsame Identität zu formulieren.

Auf stundenlangen Fahrten mit dem Schulbus, der die wenigen Schülerinnen und Schüler aus Westbeirut einsammelte, lernte Halwani die Hauptstadt, ihre Viertel und Bewohnerinnen und Bewohner kennen. Dabei fiel ihm auf, dass die konfessionelle Propaganda politischer Parteien den öffentlichen Raum monopolisierte: mit Parteiflaggen, Konterfeis ihrer Führer, mit Slogans. Bereits im Bürgerkrieg hatten die Kriegsparteien ihre militärische Kontrolle über Teile der Hauptstadt und des Landes auf den öffentlichen Raum ausgeweitet. So sollte nach außen wie nach innen der Eindruck von Geschlossenheit und Stärke entstehen

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