Am 4. November ist Saad Hariri von seinem Posten als Premierminister des Libanons zurückgetreten
Beobachter fürchten nun einen neuen Konfliktherd in der RegionEin Videoausschnitt eines Interviews mit Hariri heizt die Debatte weiter an
Wäre die Lage nicht bitterernst und stünden nicht so viele menschliche Schicksale auf dem Spiel, könnte man die jüngsten Ereignisse um Libanons Ex-Premierminister Hariri für ein Theaterstück mit bestem Unterhaltungswert halten.
Am 4. November trat Premierminister Saad Hariri von seinem Posten als Ministerpräsident des Libanon zurück. Die Nachricht schlug ein wie eine Bombe. Politik und Presse fragten nach dem “Warum?” und befürchteten die nächste Eskalation in einer ohnehin schon von Krieg und Zerstörung geplagten Region.
Plötzlich taucht ein verdächtiger Mann auf
Aber Hariri sagte: Nichts.
Am Sonntag äußerte er sich erstmals in einem Fernsehinterview, das in Saudi-Arabiens Hauptstadt Riad aufgenommen wurde. Hariri stellte seine Rückkehr in den Libanon in Aussicht und bestritt Gerüchte, er werde in Saudi-Arabien festgehalten.
In den sozialen Netzwerken ging jedoch ein Ausschnitt des Interviews viral, der eine saudische Intrige beweisen soll.
Im Video spricht Hariri über seine Rückkehr in den Libanon. Er schaut die Moderatorin an, die ihm gegenüber sitzt.
Plötzlich taucht hinter der Moderatorin ein Mann auf, der einen Zettel in den Händen hält. Hariri liest den Zettel und gerät dadurch offenbar aus der Fassung. Anstatt zur Moderatorin zu blicken, schaut er mehrmals zu dem Mann mit dem Zettel hinüber. Er gerät ins Stottern und verliert den Faden.
Einige Twitter-Nutzen meinen, Hariri wirke plötzlich verdächtig nervös. Hat er sogar Angst?
Auch seine Handbewegungen, die den Mann halbherzig zu vertreiben versuchen, interpretieren viele Nutzer als Ausdruck von Furcht.
Wer ist dieser Mann und was steht auf dem Zettel? Ist Hariri gar ein Gefangener des saudischen Kronprinzen Salman?
All diese Fragen beschäftigen gerade Millionen Menschen im Nahen Osten – weil sie über Krieg und Frieden in der Region entscheiden könnten.
Schon seine Rücktrittserklärung vom 4. November deutet auf eine dramatische Entwicklung hin.
Hariri erklärte: “Ich spüre, dass eine Verschwörung läuft, die auf mein Leben abzielt.” Deshalb sei er nach Riad geflüchtet, wo er seine Ansprache ebenfalls im Fernsehen verlas.
Hariri fürchtet demnach einen Anschlag von Seiten der Hisbollah. Je nach Perspektive ist die Hisbollah eine Partei, Befreiungsarmee oder Terrorgruppe. Aus religiöser Solidarität unterstützt Iran die schiitische Hisbollah politisch und – wenn nötig – auch mit Waffen.
Hariri dagegen ist Sunnit. Sein ebenfalls sunnitischer Vater fiel vor zwölf Jahren einem Mordanschlag zum Opfer.
Seit 1989 herrscht ein labiler Friede
Saudi-Arabien und Hariri verbreiten nun die Ansicht, Iran und Hisbollah versuchten die Kräfteverhältnisse im Libanon zu ihren Gunsten zu biegen – mit allen Mitteln: auch Mord.
Seit 1989 herrscht ein labiler Friede zwischen den rivalisierenden Gruppen im Libanon. Sunniten, Schiiten und maronitische Christen einigten sich damals auf das Ende des Bürgerkriegs und ein kompliziertes System zur Aufteilung der Macht.
Scheint die Argumentation Hariris auf den ersten Blick noch logisch, kommen nun immer mehr Zweifel auf. Die gegenläufige Sichtweise auf die Ereignisse vermutet eine saudische Intrige.
Hariri wurde in Riad geboren, mit seiner saudischen Firma Saudi-Oger scheffelte er ein Teil des Vermögens, das ihm einen Eintrag in der Forbes-Liste als einer der jüngsten Milliardäre einbrachte. Schon zur Regierungszeit seines Vaters galt Saad Hariri als wichtigster Mann des saudischen Königshauses im Libanon.
Nun übernimmt in Saudi-Arabien bald Mohammed bin Salman das Ruder. Der ehrgeizige Kronprinz versucht gerade seine Macht im In- und Ausland auszubauen.
Missbraucht er dazu Saad Hariri? Hält Saudi-Arabien Hariri gegen seinen Willen fest, um seinen Einfluss zu demonstrieren, die libanesische Regierung zu einem härteren Vorgehen gegen die schiitischen Akteure im Libanon zu drängen? Den Raketenabschuss durch schiitische Huthi-Rebellen aus dem Jemen zu rächen?
Viel deutet darauf hin, dass Riad versucht, die Spannungen zwischen Schiiten und Sunniten im Libanon eskalieren zu lassen.
Politisches Establishment im Libanon fordert Hariris Rückkehr
Bereits am Tag des Rücktritts meinten einige Kommentatoren zu erkennen, dass Hariri während der Ansprache wirkte, als sehe er den Text seiner Rede in diesem Moment zum ersten Mal. Hat Hariri sich an ein Skript zu halten, um die Weste der Saudis weiß zu halten?
Dazu passt, dass Saudi-Oger zuletzt herbe Verluste verzeichnete, was Hariri erpressbar machen könnte. Und: Auch Jemens Präsident Abdrabu Mansur Hadi soll seit Monaten unter saudischem Arrest stehen.
Libanons christlicher Präsident verlangte daraufhin ein Gespräch mit dem saudischen Botschafter und lehnte Hariris Rücktritt ab. Dieser solle in den Libanon zurückkehren und sich erklären. Dieser Forderung schlossen sich die Hisbollah, deren Chef Nasrallah Mordpläne dementierte, und Hariris eigene Partei an.
Die libanesische Presse zeigte sich in Aufruhr. “Wir wollen dich zurück”, hieß es in Kommentaren. “Geisel”, titelte eine große Zeitung. In der Hauptstadt Beirut demonstrierten am Sonntag Menschen für die Rückkehr ihres Ministerpräsidenten.
US-Außenminister Rex Tillerson warnte währenddessen vor einem Stellvertreterkrieg im Libanon. Mit Recht: In Syrien und im Jemen zeigt sich, wie schnell der Kampf um Einfluss eskalieren kann.
Nun rückt auch noch der Libanon in den Blick der Regionalmächte Iran und Saudi-Arabien. Um die undurchsichtige Lage endlich zu verstehen, achtet die Weltöffentlichkeit inzwischen auf jedes Detail.