TV-Kritik Christen im Orient Nichts von Menschenrechten erzählen

Flucht, Vertreibung, Vernichtung: Arte schildert die verzweifelte Lage der Christen in der arabischen Welt. Doch leider bietet die hiesige Ignoranz wenig Grund zur Hoffnung.

Knapp zwanzig Prozent der Bewohner des Nahen Ostens waren zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts Christen. Wie viele sind es heute, nach dem Völkermord an den Armeniern und den assyrischen Christen, nach hundert Jahren Verfolgung, Vertreibung und Unterdrückung? Elf Millionen Christen gibt es noch, unter 320 Millionen Muslimen. Dass an der Wiege des Christentums überhaupt noch Christen leben, kann einem wie ein Wunder erscheinen, hat man die Dokumentation „Christen in der arabischen Welt“, die heute Abend bei Arte läuft, bis zum Ende gesehen.

Denn nach 1500 Jahren der Verfolgung haben die Christen im Nahen Osten fast keine Möglichkeit mehr, sich zu wehren. Darauf läuft einer der abschließenden Sätze des beeindruckenden Films von Didier Martiny hinaus, dessen französischer Originaltitel die Lage genauer benennt, als es die Übertragung ins Deutsche tut: „La fin des chrétiens d’orient?“.

Martiny schildert die Lage der Christen und anderer von Islamisten verfolgter Minderheiten wie der Jesiden. Er berichtet aus dem Irak, aus Syrien, der Türkei, dem Libanon und aus Ägypten, womit er zugleich die verschiedenen Stadien eines Ethnozids schildert – die Vertreibung einer religiösen Minderheit, ihre physische Vernichtung und die Auslöschung ihrer Kultur. Im Irak und in Syrien leistet das im Augenblick vor allem die Barbarenmiliz IS. Was diese anrichtet, wurde im Westen lange nicht zur Kenntnis genommen. Hört man die Zeugnisse derer, die den Mördern knapp entkommen sind, tritt einem dieses Versagen des Westens und des vermeintlich sich christlich geprägt dünkenden Europas noch einmal schmerzlich vor Augen.
Nicht einmal mehr Bürger zweiter Klasse

„Ihr habt eure Glaubwürdigkeit verloren. Erzählt mir nie wieder etwas von Demokratie und Menschenrechten“, sagt Bischof Diman, der in Ägypten das koptisch-orthodoxe Kloster des Erzengels Michael führt. Zuvor hat er auf die Verfolgung der Christen in Nigeria verwiesen, die Angriffe auf Kopten seit den neunziger Jahren in Ägypten oder den vor laufender Kamera vollzogenen Massenmord an 21 koptischen jungen Männern in Libyen, die von IS-Leuten geköpft wurden. Das sind nur einige der Beispiele, die er nennt.

In Ägypten versuchen sich die koptischen Gemeinden zu behaupten, im Libanon haben die christlichen Maroniten, welche mit 43 Prozent die größte Bevölkerungsgruppe stellen, ihren einst prägenden Einfluss verloren und suchen ihr Heil als Bündnispartner entweder der sunnitischen oder der schiitischen Radikalen. In der Türkei, deren sultanesken Präsidenten Erdogan die EU in der Flüchtlingskrise als Partner zu brauchen glaubt, führen Christen als Bürger nicht einmal mehr zweiter Klasse eine prekäre Randexistenz.
„Eine Katastrophe der Zivilisation“

Ob sie überhaupt noch eine Zukunft haben, „auf ihrem angestammten Boden“, hängt, das hören wir in diesem Film immer wieder, entscheidend davon ab, wie sich der Westen verhält. Für diesen, sagt Martiny, haben die Christen in der arabischen Welt strategisch keine Bedeutung mehr. Und sie haben keine Zukunft mehr, wenn sich an dieser „strategischen“ Haltung nichts ändert, die zu Bündnissen mit ausgerechnet denen führt, welche die Verfolgung nicht nur einer Religionsgemeinschaft, sondern aller Andersdenkenden betreiben – mit Saudi-Arabien und dem Regime Erdogan.

Wenn das so weitergeht, da sind sich die Geistlichen verschiedener Konfessionen, die Experten und überhaupt alle, die Martiny in seinem Film hört, einig, werden nicht nur die Christen aus der arabischen Welt verschwinden. Es wird sich „eine Katastrophe der Zivilisation“ vollenden. Sieht man sich an, wie ignorant Politik und Amtskirchen bei uns selbst auf die Verfolgung von nach Deutschland geflüchteten Christen reagieren, die hier, im Exil, neuen Peinigungen ausgesetzt sind, vor denen man die Augen nicht verschließen darf, kommt nicht viel Hoffnung auf.