Pierre Jarawan stellte seinen Debütroman “Am Ende bleiben die Zedern” vor – und lieferte einen spannenden Einblick in die Kultur des Libanon.
Pierre Jarawan spricht mit ruhiger, klarer Stimme – geradezu geschaffen für den seriösen Vortrag. Kein Pathos, keine zur Schau gestellte Leidenschaft. Dass es ihm um ein Herzensanliegen geht, verrät nur hin und wieder eine Wiederholung in seinen Beschreibungen. Dann funkeln die Augen hinter den dunkel gerahmten Brillengläsern. Ja, die Geschichte hat ihm auf der Seele gelegen. Er habe den Roman schreiben müssen, weil er etwas zu sagen gehabt habe. Wir glauben es ebenso gern, wie wir ihm alle Fakten abnehmen, die er an diesem Abend in der Mediothek über den Libanon erzählt. Hier ist ein kluger, analytischer Kopf, der Distanz und Betroffenheit ideal austarieren kann. Und ein begnadeter Geschichtenerzähler, dem man stundenlang zuhören mag.
Pierre Jarawan ist 1985 in Jordanien geboren. Sein libanesischer Vater und seine deutsche Mutter waren dorthin aus dem Bürgerkrieg im Libanon geflohen. Als er drei war, zog die Familie nach Deutschland. Den Libanon, sagt Jarawan, kannte er als Urlaubsland, verwöhnt von den Verwandten, ein bisschen 1001-Nacht-Charme. Doch für seinen Roman “Am Ende bleiben die Zedern” hat er sich dem Land mit möglichst neutralem Blick genähert, hat Fragen gestellt, viele Antworten erhalten und aus dem Nicht-Gesagten noch mehr Schlüsse gezogen. Seine Einschätzung teilt er dem Auditorium mit – trockene Lesungen sind seine Sache nicht. Lieber lockert er gelesene Blöcke mit Fakten, Anekdoten und einer Reihe von Dias aus dem Libanon auf. Am Ende des Abends wissen viele vieles mehr über das Land im Schatten der Weltnachrichten.
Der Libanon, ein schmaler Küstenstreifen am Mittelmeer, der in ein Gebirge ausläuft, ist halb so groß wie Hessen. “Hier kann man morgens Skilaufen und nachmittags im Meer baden”, sagt Jarawan. Das ist seine Art, noch einmal beiläufig zu erwähnen, dass Widersprüchlichkeit zum libanesischen Alltag gehören. Vier Millonen Menschen leben hier, zwei Millionen seien syrische Flüchtlinge (inklusive Dunkelziffer), und zwölf Millionen Libanesen leben weltweit im Ausland. Die Hauptstadt Beirut gilt als Modestadt, als Paris des Nahen Ostens. Doch die Nebenstraßen der prächtig herausgeputzen Einkaufsmeilen zeigen noch die zerschossenen Mauern – Relikte eines erbitterten Bürgerkriegs. Libanesen seien Weltmeister im Wegschauen, sagt der Autor: Sie genießen den Daiquiri am Pool und übersehen die Kriegsruine im Hintergrund. Im Krieg gehörte es zum Alltag, dass auf den Dächern der Luxushotels Heckenschützen Position bezogen, während drinnen der Tourismus weiterlief. Über 10.000 Verschleppte rede niemand. Die enorme Feierlust der Libanesen entspringe ihrer Lebenssehnsucht. Wer jederzeit damit rechnet, dass ein Anschlag oder ein Heckenschütze ihn töten kann, der will der Angst ein Schnippchen schlagen. “Ich habe von jungen Leuten gehört: Wenn ich morgen an der falschen Bushaltestelle stehe… Da feiere ich heute lieber nochmal.” Auch der Romantitel spiegelt diese Lebenshaltung: “Man sagt, selbst wenn der Libanon einmal nicht mehr existiert, der Nationalbaum – die Zeder – wird bleiben. Diese Bäume können 1000 Jahre alt werden.”
Die große Tragödie des Landes, sagt Jarawan, entwächst aus seiner eigentlich größten Chance: “Es gibt 18 offiziell anerkannte Religionsgemeinschaften. Das Prinzip der konfessionellen Parität sieht vor, dass jede mit einer Anzahl Abgeordneten im Parlament vertreten ist. Es regieren also Religionsführer, keine Politiker. Die Hisbollah ist in anderen Ländern als Terrororganisation eingestuft. Hier ist sie eine Partei.”
Man spürt, wie die Lust am Verstehen einer Kultur ihn umtreibt, wie das Thema aus ihm heraus will. “Es gibt emotionale Parallelen zwischen mir und der Romanfigur Samir”, gibt Jarawan zu. Jener Samir wächst in Deutschland auf. Die Eltern sind aus dem Libanon geflohen und hoffen nun auf ein Stück Glück in einer deutschen Stadtrandsiedlung, in der viele Libanesen wohnen. In einer humorvollen Szene schildert Jarawan, wie die Satellitenschüssel auf 26,0° Ost gedreht wird, um “Arabsat” zu empfangen. Es ist ein liebevoller Blick auf die Figuren. “Wenn ich heute in einer Stadt am Bahnhof ankomme, wo im Viertel viele türkische Familien leben, gucke ich immer auf die Dächer mit den gleich ausgerichteten Satellitenschüsseln”, sagt er. Als der Samir im Roman acht Jahre alt ist, verschwindet sein Vater spurlos. 20 Jahre später macht sich der Sohn auf die Suche – entdeckt, dass die Geschichten, die der Vater aus der alten Heimat erzählt hat, von Menschen handeln, die ihm nun tatsächlich begegnen. Er erkennt, dass das so milch-und-honigfarben ausgemalte Land seine dunklen Seiten hat – und dass es ein schlimmes Familiengeheimnis gibt.
In den kurzen Passagen, die Jarawan vorträgt, werden seine Figuren heimisch in den Herzen der Zuhörer. Man mag ihre Schrullen, ihre Eigenheiten, ihren trockenen Humor und die Fabulierlust des Autors. Denn auch Jarawan ist ein Geschichtenerzähler, einer für 1001 Märchen, die alle vieles über die Wirklichkeit erzählen. Wie gut, dass er, der preisgekürte und bühnenerfahrene Poetry-Slammer sich an die Königsdisziplin Roman gewagt hat. Wie gut, dass einer wie er, so über den Libanon schreibt. Wie spannend, wenn er das demnächst auch über Deutschland täte.