Bis 1973 hatten die USA vier große Füße in Saudi-Arabien: Exxon, Mobil, Gulf und Socal. Als das Königreich die Besitzer von Saudi-Aramco jedoch enteignete, mussten die Beziehungen neu gestaltet werden. Finanzminister William Simon handelte das „Petrodollar-Recycling“ aus. Die Folge ist, dass die Golfmonarchie nun ihrerseits einen sehr großen Fußabdruck in der US-Wirtschaft hat.
In den USA ist eine Diskussion darum entbrannt, wie groß der „saudische Fußabdruck“ im Land ist. Aktuell erhält dieses politische Tabu öffentlich eine neue Bedeutung. Die Frage lautet, wieviel von Amerikas Schuldenberg das saudische Königshaus tatsächlich kontrolliert. Zum einen sorgt natürlich der anhaltend niedrige Ölpreis für Befürchtungen, dass Saudi-Arabien seine US-Anleihen in Bargeld verwandeln will.
Zum anderen wissen aber auch alle, dass das Königreich sein „außerordentliches Gewicht auf dem Anleihemarkt“ stärker als politische Waffe einsetzen könnte. Im April warnte Saudi-Arabien öffentlich, dass es 750 Milliarden Dollar in Staatsanleihen und anderen Vermögenswerten abstoßen könnte, wenn der amerikanische Kongress ein Gesetz verabschiedet, mit dem das Königreich für die Terroranschläge vom 11. September 2001 zur Verantwortung gezogen werden könnte.
Prinz Bandar bin Sultan plaudert im August 2002 auf der Bush-Ranch in Crawford, Texas, mit dem Präsidenten. Schon damals verlangten Abgeordnete eine Untersuchung darüber, ob Geld aus Saudi-Arabien an die 9/11-Attentäter geflossen ist.
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Konkret droht den amerikanisch-saudischen Beziehungen Gefahr durch den Vorstoß von einigen Abgeordneten. Sie wollen bisher geheime 28 Seiten aus dem Untersuchungsbericht der Regierung freigeben, in denen es um Details von saudischen Verbindungen zu den Anschlägen geht.
Maßgebliche Finanzspezialisten warnten daraufhin öffentlich vor den Konsequenzen: So meint etwa Marc Chandler, Leiter für Währungsstrategien bei Brown Brothers Harriman, gegenüber Bloomberg.
„Lasst uns lieber nicht davon ausgehen, dass sie bluffen. Die Saudis stehen unter großem Druck. Ich würde sagen, dass wir uns keinen Gefallen tun, wenn wir unsere Anfälligkeit gegenüber großen Gläubigern unterschätzen.“
40 Jahre Petrodollar: Ein Deal von 1974
In einer aktuellen Recherche zeichnet Andrea Wong für Bloomberg eine besondere wirtschaftliche Verbindung zwischen dem Königreich und den USA nach. Im Juli 1974 wurde in Amerika ein neuer Finanzminister eingesetzt. Gemeinsam mit seinem Stellvertreter, Gerry Parsky, reiste William Simon in das Königreich Saudi-Arabien. Die Beziehungen zwischen den Verbündeten befand sich damals auf einem Tiefpunkt.
Seit 1945 hatte der Deal „Erdöl gegen Sicherheit für die Arabische Halbinsel“ Bestand. Nun, Ende 1973, erschütterte die so genannte Ölkrise jedoch die westliche Welt. Die arabischen OPEC-Staaten hatten ein Embargo verhängt, angeblich um sich an den USA und Westeuropa für deren Unterstützung für die Israelis im Jom-Kippur-Krieg zu rächen. Tatsächlich jedoch bereiteten die OPEC-Länder mit dem Embargo die Verstaatlichung der westlichen Erdölmultis vor, denen die Fördergesellschaften in den Ölstaaten bisher gehörten. In der Folge vervierfachte sich der Ölpreis, die Inflation stieg und der Aktienmarkt stürzte ab. Die US-Wirtschaft geriet ins Trudeln.
Offiziell sollte sich Finanzminister Simon auf seiner zweiwöchigen Reise der Wirtschaftsdiplomatie in ganz Europa und dem Nahen Osten widmen. Die eigentliche Mission, streng vertraulich abgesprochen im engsten Kreis um Präsident Richard Nixon, bestand jedoch in einem viertägigen Aufenthalt in der saudischen Hafenstadt Dschidda.
Das Ziel der Mission bestand in nichts geringerem, als eine neue Ordnung für den Ölhandel auf den Weg zu bringen. Bisher befand sich die damals größte Ölgesellschaft der Welt, Saudi-Aramco, im Besitz von vier amerikanischen Unternehmen: Exxon, Mobil, Gulf und Socal. Hinter dem scheinbar saudischen Namen der Firma versteckte sich der Klarname: Arabian American Oil Co. Das saudische Königshaus erhielt von den US-Unternehmen eine Gewinnbeteiligung um die 50 Prozent. Mit der anstehenden Enteignung stellte sich die Frage, wie die gigantischen Gewinne aus dem Erdölgeschäft der amerikanischen Wirtschaft erhalten bleiben können.
Mit anderen Worten lautete das Problem: Wie konnte das Königreich überzeugt werden, weiterhin Amerikas ausuferndes Defizit mit seinen Petrodollars zu finanzieren. Das wichtigste Argument gegenüber den Saudis bestand natürlich in einer impliziten Drohung: Laut Gerry Parsky stellte Präsident Nixon klar, dass es weiterhin eine Sicherheitsgarantie der USA für Saudi-Arabien gibt. Ein Scheitern der Verhandlungen würde nicht nur dazu führen, dass die US-Wirtschaft irreparabel geschädigt würde, sondern auch dazu, dass die „Sowjetunion auf breiter Front in die arabische Welt einbrechen“ könnte, wie Andrea Wong in ihrer historischen Recherche zitiert.
Es ging gar „nicht um die Frage, ob das getan werden könnte, oder ob es nicht getan werden könnte“, so der heute 73-jährige Parsky.
Der frisch ernannte Finanzminister William Simon fungierte als inoffizieller „Energie-Zar“ des Präsidenten. Dabei ging der ehemalige Börsenmakler – zeitgemäß – wenig diplomatisch vor. Erst eine Woche vor der Abreise nach Saudi-Arabien hatte er den Schah von Persien, einen anderen „engen Alliierten“, öffentlich beschimpft. Aber William Simon verstand besser als die meisten anderen Menschen, wie die Staatsschulden der USA funktionieren. Die Idee, die er den saudischen Herrschern verkaufen sollte, bestand darin, dass Amerika der sicherste Ort der Welt ist, um die neu gewonnen Petro-Dollar zu parken.
Friss-oder-Stirb: Euer Geld auf unseren Banken
Auf dieser Grundlage hatte die Nixon-Regierung einen „einmaligen Friss-oder-Stirb-Plan“ ausgearbeitet, der jeden einzelnen Aspekt der saudisch-amerikanischen Beziehungen in den kommenden Jahrzehnten beeinflussen sollte:
Das Konzept bestand einfach darin, dass die USA weiterhin Öl von der verstaatlichten Saudi-Aramco kaufen. Im Gegenzug beschafft Saudi-Arabien Rüstungsgüter und Ausrüstung in den USA. Außerdem müssen die Saudis die Milliarden ihrer Öleinnahmen in US-Staatsanleihen investieren, um so Amerikas Ausgaben zu finanzieren. Bekannt wurde dieses Konzept später als Petrodollar-Recycling.
Wie jetzt bekannt wurde, benötigte man damals mehrere diskrete Folgetreffen, um alle Details festzulegen, berichtet Parsky. Aber selbst nach mehreren Monaten der Verhandlungen blieb ein kleines, aber nicht unwichtiges Problem ungelöst. König Faisal bin Abdulaziz Al Saud bestand darauf, dass die Käufe der Staatsanleihen (treasury) „streng geheim“ bleiben, wie aus einem diplomatischen Telegramm hervorgeht, das Bloomberg aus der Datenbank National Archives erhielt.
Nur eine „handvoll Beamte aus der Zentralbank“ kannten dieses Geheimnis und bewahrten es über mehr als vier Jahrzehnte. Eine Anfrage von Bloomberg nach dem Freedom-of-Information-Act ergab nun, dass Saudi-Arabien mit 117 Milliarden Dollar einer der größten ausländischen Gläubiger der USA ist. Gegenüber Bloomberg sagte ein anonymer Finanzbeamter jedoch, dass diese offizielle Zahl zwar die Bedeutung Saudi-Arabiens als Gläubiger belegt. Tatsächlich könne es sich jedoch um eine „grobe Untertreibung“ handeln. Vermutlich liege die tatsächliche Zahl „um das Doppelte oder noch stärker“ darüber.
Damals, mitten in der Ölkrise, lautete die größte Befürchtung von König Faisal, dass das saudische Geld auf „direktem oder indirekten“ Weg in den Händen seiner „größten Feinde“ landet, etwa in Form von zusätzlichen US-Unterstützung für das Baath-Regime im Irak.
Eine Bypass-Operation für den König
Die amerikanischen Finanzbeamten lösten das Problem, indem sie den Saudis eine „Hintertür“ ließen. Eine der ersten Sonderregelungen erlaubte es den Saudis, das normale Bieterverfahren für Staatsanleihen mit so genannten „Add-ons“ zu umgehen. Damit konnten diese Verkäufe, die nicht über die offiziellen Auktionen liefen, gut versteckt werden.
„Alle Spuren der saudischen Präsenz auf dem Markt für Schuldtitel der US-Regierung wurden versteckt“, beschreibt Bloomberg den Effekt.
Bereits im Jahr 1977 soll das Königreich etwa 20 Prozent aller Staatsanleihen im Ausland gehalten haben, schätzt David Spiro in dem Klassiker „The Hidden Hand of American Hegemony: Petrodollar-Recycling und International Markets“. Neben dieser Bypass-Operation ermöglichte das US-Finanzministerium weitere Ausnahmen für Saudi-Arabien.
Anstatt die „Staat-zu-Staat-Anleihen“ wie vorgeschrieben offenzulegen, führte das Finanzministerium sie in diesem Fall zusammen mit 14 anderen Nationen wie Kuwait, die Vereinigten Arabischen Emirate und Nigeria unter den Sammelbegriff „Ölexporteure“. Diese Praxis wird bis heute fortgesetzt, mehr als 41 Jahre nach dem Deal.
Natürlich führten diese „versteckten Bilanzen“ zu scheinbar unerklärlichen Problemen im Haushalt. So verhielten sich die „Treasury-Add-on-Anlagen“ unberechenbar und die Auslandsnachfrage drohte mehrmals, die USA über ihre Schuldengrenze zu drücken. Bloomberg zitiert einen internen Vermerk vom Oktober 1976, der belegt, dass USA versehentlich mehr als 800 Millionen Dollar zusätzlich in einer Auktion verliehen hatten. In diesem Fall hatten zwei „nicht identifizierte Zentralbanken“ die Add-ons verwendet, um jeweils zusätzliche 400 Millionen Dollar an Treasuries zu kaufen.
Die meisten dieser Manöver und Unfälle wurden unter den Teppich gekehrt. Spitzenbeamte des Finanzministeriums gaben sich große Mühe, den Status quo zu erhalten und ihre größten Gläubiger und Verbündeten im Mittleren Osten zu schützen. Sie entzogen diese ausländischen Investitionen in den Dollar und in den amerikanischen Staatshaushalt konsequent jeder Kontrolle.
So hätten die Petrodollar etwa nach dem ‚International Investment and Trade in Services Survey Act‘ von 1976 gemeldet werden müssen. Ebenso tauchten die Unregelmäßigkeiten im ‚Government Accountability Office‘ auf, das in einer Untersuchung von 1979 „keine statistische oder rechtliche Grundlage“ für auffällige Unregelmäßigkeiten finden konnte.
Das GAO hatte einfach nicht die Macht, das Finanzministerium zu zwingen, die entsprechenden Daten herauszugeben. „Es war klar, dass die Treasury-Leute überhaupt nicht mit uns zusammenarbeiten wollten“, berichtet etwa Stephen McSpadden, ein ehemaliger Berater im Unterausschuss des Kongresses, der für die GAO-Anfragen zuständig war.
„Ich saß 17 Jahre im Unterausschuss, aber so etwas hatte ich noch nie gesehen“, so Stephen McSpadden zu Bloomberg.
König Faisal brachte der neue Deal mit den USA übrigens wenig Glück. Er wurde im März 1975 von seinem Neffen Faisal ibn Musaid ermordet. Der junge Mann hatte die zehn Jahre zuvor in den USA verbracht. Dort studierte er und lernte seine Freundin, die Amerikanerin Christine Surma kennen. Gemeinsam mit ihr reiste er über die DDR und den Libanon zurück nach Saudi-Arabien, wo er kurz darauf seinen Onkel, König Faisal erschoss. Der Attentäter wurde verhaftet, für geisteskrank erklärt und öffentlich enthauptet. Die Hintergründe der Tat konnten nicht aufgeklärt werden.