Die Eröffnung des 23. Istanbuler Jazz-Festivals lag dieses Jahr in den Händen des Orchestra of Syrian Musicians. Das hat Symbolkraft in einer Stadt, die mehr als 300.000 syrische Flüchtlinge beherbergt. Von Marian Brehmer
Istanbul hat sich verändert. Allein das schon ist eine Botschaft, die von der dreisprachigen Programmansage auf Türkisch, Englisch und Arabisch ausgeht. Es ist ein Frühsommerabend im Juni. Die Ränge von Istanbuls größter Open-Air-Bühne sind prall gefüllt zur Eröffnung des 23. Istanbuler Jazz-Festivals, als das Abendprogramm, gefolgt von lautem Applaus, auch auf Arabisch verlesen wird. Auf der Gig-Liste steht ein Potpourri von Musikern, die die gesamte Bandbreite der arabischen Musik abdecken.
Die künstlerische Grundlage des Abends legt das Orchestra of Syrian Musicians, das vor rund zwanzig Jahren aus der Musikhochschule Damaskus hervorgegangen ist. Inzwischen ist das Orchester, das sowohl in der arabischen als auch in der westlichen Klassik beheimatet ist, in zwei Gruppen unterteilt: die Musiker, die noch in Syrien leben und jene, die sich seit Kriegsbeginn im Westen niedergelassen haben.
Einer von ihnen ist Jehad Jazaab, einstiges Mitglied des Syrischen Symphonieorchesters. Der Violinist lebt nun in Bremen, spielt dort mit einem Streichquartett und in einem Expat-Philharmonieorchester. Das Orchestra of Syrian Musicians ist sein musikalischer Hafen, das Konzert in Istanbul für Jazaab eine Art Brücke zwischen der zurückgelassenen Heimatstadt Aleppo und der neuen Heimat in Norddeutschland.
Wege des Dialogs und der Heilung
Die Geigentöne von Jazaab und seinen Musikerkollegen zu Konzertbeginn, die den Gesang eines gemischten Chors untermalen, könnten auch einer arabesken Ballade von Fairuz entstammen. Wer die fusionsfreudige türkische Populärmusik kennt, weiß, dass diese arabischen Melodien niemandem im Publikum fremd vorkommen werden.
Und dennoch geht von der starken Präsenz der arabischen Musiker an diesem Abend ein Zeichen aus, das weiter reicht. “Für dieses Jahr wollten wir ein Konzert organisieren welches das neue kulturelle Mosaik, das unser Land beherbergt, reflektiert”, sagt die Leiterin des Jazz-Festivals, Pelin Opcin. “Wir sind überzeugt, dass Musik die Kraft hat, Menschen verschiedener Kulturen zu vereinen und Wege des Dialogs und der Heilung zu bereiten.”
Wie verschiedene Wege, die sich kreuzen, wirken auch die sich abwechselnden Musikstile, immer begleitet vom syrischen Orchester, das dabei seine Vielseitigkeit unter Beweis stellt. Das Duo aus senegalesischer und malischer Lautenmusik scheint sich zu den syrischen Beats genauso gut entfalten zu können wie der britische Rock-Sänger Damon Albarn von “Blur” und den “Gorillaz”. Das Besondere dabei: Die syrischen Musiker sind hier nicht nur Gäste, sondern willkommener musikalischer Gastgeber. Damit verschiebt sich auch die Wahrnehmung von Syrern – nicht mehr als Flüchtlinge, sondern als Teil der größeren Weltgemeinschaft.
Internationale Qualität der syrischen Musik
Der Dirigent des Orchestra of Syrian Musicians, Issam Rafea, ist selbst ein bekannter Oud-Spieler, der heute in den USA lebt und häufig aufinternationalen Festivals auftritt. Die weltweite Verbreitung und hohe Qualität der syrischen Musik ist nicht nur eine Folge der Migration durch den syrischen Bürgerkrieges, sondern durch langjährige Partnerschaften wie mit dem Osnabrücker Morgenland-Festival bekannt.
Neben kanadischem Jazz, dem Harfenspiel der mauretanischen Sängerin Nouramint Seymali und dem Auftritt des tunesischen Jazz- und Sufi-Sängers Mounir Troudi kommt auch ein arabisches Hip-Hop-Quartett auf die Bühne. Rappender Vertreter für Syrien ist Eslam Jawaad, der in Damaskus geboren wurde. Jawaad enstpricht mit seiner dunklen Sonnenbrille und der tief in die Stirn gezogenen Mütze ganz dem Prototypen eines Rappers.
Mit Musik das Menschliche betonen
Der Musiker wohnt zwar seit einiger Zeit schon in den Vereinigten Staaten, ist in den letzten Jahren aber häufig nach Syrien zurückgekehrt. “In den Medien wird nur von den Kriegszonen berichtet, nicht von dem, was sich sonst in Syrien abspielt”, meint Jawaad. Auch die Rap-Szene in Damaskus sei nach wie vor lebendig. “In Kriegszeiten haben die Rapper einfach mehr zu sagen.”
Das Konzert in Istanbul ist Jawaad auch ein persönliches Anliegen, ein Statement an die Türkei: “Es ist nicht leicht, so eine große Flüchtlingsbevölkerung willkommen zu heißen. Mit Musik können wir die Menschen hier daran erinnern, die menschliche Seite zu betonen, statt den Fokus nur auf die Probleme zu legen.”
In der Stadt, die für mehr als 300.000 Flüchtlinge aus Syrien zu einer neuen Heimat geworden ist, hat das große Bedeutung. Als zum Abschlusslied Hunderte junge Türken aufstehen und voll Emotion in den arabischen Chorus einstimmen, ist tatsächlich eine starke Einigkeit mit den syrischen Nachbarn zu spüren. Und das in einer Zeit, die viele Istanbuler selbst als sehr düster empfinden.