Eine App mit einer 3D-Rekonstruktion ermöglicht die Begehung des mächtigsten Heiligtums des Römischen Reiches. Auf zur virtuellen Expedition in den Libanon.
Baalbek, ein Sehnsuchtsort westlicher und östlicher Reisender seit Jahrhunderten, gehört zu den wenigen Siedlungen weltweit, die seit 10 000 Jahren kontinuierlich besiedelt sind. Berühmt ist Baalbek, das antike Heliopolis, in der fruchtbaren Bekaa-Ebene im Libanon heute vor allem für seine Tempel aus römischer Zeit, die den Ort prägen. Die sechs verbliebenen Säulen des Jupitertempels, sind mit 22,6 Metern Höhe die mächtigsten Säulen des Römischen Reiches.
Aber es ist schwer sich vorzustellen, wie sich römisches Leben in der Levante vor 1800 Jahren abgespielt hat. Das wird sich nun ändern, denn die kostenfreie App „Baalbek Reborn. Temples“ gibt seit Mittwoch bisher nie gekannte Einblicke in die faszinierende Architektur, die auch lokale Einflüsse mit aufnahm.
Produziert wurde die App von Flyover Zone Productions aus den USA und dem Deutschen Archäologischen Institut (DAI) in Kooperation mit der Antikenverwaltung DGA des libanesischen Kulturministeriums (freigeschaltet wird sie am Mittwoch nach einer gemeinsamen Präsentation der Beteiligten, den Link finden Sie dann hier).
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Die App beginnt mit einer Luftaufnahme Baalbeks, in dessen Nähe die beiden libanesischen Flüsse Litani und Orontes entspringen. Baalbek ist Aramäisch und bedeutet „Herr der Quelle“. Die Römer erkannten die strategische Bedeutung und errichteten hier das gewaltige Jupiterheiligtum mit weiteren Tempeln, die größte Tempelanlage des gesamten Römischen Reiches. Die App zeigt die Stadt auf dem Höhepunkt ihrer Macht
Es empfiehlt sich, zunächst die etwa halbstündige Tour zu 38 Punkten zu wählen, um sich mit dem gewaltigen Komplex und der App vertraut zu machen. Danach kann man nach Lust und Laune springen und stöbern. Die App funktioniert auf zwei Ebenen: Sie führt die User in die aktuelle Grabungsstätte, wo Archäologen und Archäologinnen des DAI seit 1998 arbeiten, und in die durch Computeranimation erstellte hypothetische Rekonstruktion, die das Team von Flyover Zone auf Basis der wissenschaftlichen Dokumentation erstellt hat.
Eine Machtdemonstration mit den Mitteln der Architektur
Meist kann man zwischen beiden Ebenen springen – 1800 Jahre mit einem Mausklick. Schon die Ruine der Propyläen, des Eingangsgebäudes zum Heiligtum, ist heute noch so imposant, dass mancher Tempel im Vergleich klein wirkt. Schaltet man auf die Rekonstruktion um, verschlägt es einem die Sprache – so mächtig ist dieser Bau mit seiner gewaltigen Freitreppe, die den Besucher in die Höhe führt.
Allein schon durch die Podeste, auf denen alle Bauten stehen, wirkt die Anlage respekteinflößend – eine „Show of Force“ der Römer, die mit dieser monumentalen Architektur ihren Machtanspruch in der Levante unterstreichen wollten.
Bei jedem Bild, egal ob real oder rekonstruiert, können sich die virtuellen Besucher mit gedrückter linker Maustaste einmal 360 Grad im Kreis drehen. Allein das gibt schon an jeder Station verblüffende Eindrücke. Über das Mausrad zoomt man hinein und wieder zurück. Zu Anfang erscheint immer ein virtuelles Tablet mit Fotos in der linken Hälfte und Text in der rechten.
Galerie
Dazu gibt es zwischen zwei und vier Minuten lange Erklärungen, die DAI-Projektleiter Henning Burwitz eingesprochen hat. Oben rechts befindet sich ein Kartensymbol, das den Blick frei gibt auf den Plan der Anlage mit den 38 Nummern, die einzeln ansteuerbar sind. Gesehene Nummern werden mit einem Haken versehen.
Auf Säulen aus rosa Granit aus Assuan
Durch die Halle mit ihren teilweise vergoldeten Kapitellen auf Säulen aus rosa Granit aus Assuan gelangt man in den Hexagonalhof, ein ungewöhnliches Bauwerk, das einerseits als Durchgangsraum zum Areal des Jupitertempels dient, der sich aber andererseits durch zwei gewaltige Türen schließen ließ und so einen eigenen Versammlungsraum bildete.
Danach gelangt man in den gigantischen Altarhof, der allein 120 mal 120 Meter misst, mit weißen Kalksteinplatten gepflastert und von imposanten Säulenhallen eingefasst ist. Auf dem Hof vor dem Jupitertempel stehen zwei kastenförmige Altartürme. Solche Altäre gibt es in anderen römischen Tempeln nicht.
Sie sind ein Beweis dafür, wie flexibel sich die Römer an die lokalen Gegebenheiten angepasst haben und wahrscheinlich auf altorientalischen Vorläuferbauten ihre neuen Altäre bauten. Im Jupitertempel stand eine gewaltige Jupiterstatue, die nicht mehr erhalten ist, wohl aber eine kleine Figurine, die sich heute im Louvre befindet und einen jungen Mann im schlanken Gewand zeigt, eine eher ungewöhnliche Darstellung.
Auf diesem Altarhof findet sich unter Position 16 ein tiefer Schnitt, wo libanesische Archäologen sieben Meter in die Tiefe gegangen sind und so in dem einstigen Tell (Siedlungshügel) auf Funde aus dem Neolithikum gestoßen sind. Graffiti an den heutigen Ruinenmauern erinnern daran, dass das Gelände bis zu Beginn des 20. Jahrhunderts bewohnt war. Die deutsche Grabung (1898-1905) hat dann das Dorf dokumentiert und abgerissen, um die archäologische Stätte freizulegen.
Höhepunkt des App-Rundgangs ist der Besuch des Jupitertempels mit seiner Ringhalle mit 54 Säulen. Jede der imposanten Säulen – heute ein Wahrzeichen des Libanon – hat einen Durchmesser von 2,26 Metern. Da schrumpft der Mensch. Und da schrumpft auch der danebenliegende sogenannte Bacchustempel, einer der besterhaltenen Tempel des Römischen Reiches.
Die Mission des kuwaitischen Mäzens
Er ist nur im Vergleich zum Jupitertempel „klein“, in Wirklichkeit ist er größer als vergleichbare Bauwerke in Europa. Was es sonst noch zu sehen und zu hören gibt, kann sich jede und jeder selbst aussuchen. Insgesamt sind zwei Stunden Audiomaterial auf der App. Das reicht für einen Abend.
Die Idee zu diesem gewaltigen Projekt hatte Bassam Alghanim, ein kuwaitischer Industrieller und Mäzen mit einer Liebe zum Libanon. Mit der Vision, den virtuellen Wiederaufbau Baalbeks seinen Eltern Yusuf und Ilham Alghanim zu widmen, suchte er Bernard Frischer auf, Informatik-Professor an der Indiana University. und berühmt für sein Visualisierungsprojekt „Rome Reborn“, an dem er seit 1995 arbeitet. Frischer, der dafür das Unternehmen Flyover Zones gegründet hatte, wandte sich an das DAI.
„Der erste Schritt ist die Vereinbarung mit den Experten. Ohne wissenschaftliche Grundlage geht gar nichts“, sagt Frischer im Zoom-Gespräch mit dem Tagesspiegel.
Danach werden die Informationen gesammelt, Fotos, Zeichnungen, Bücher, Pläne. Mit Genehmigung der Antikenverwaltung und in Begleitung von Henning Burwitz vom DAI reisten Frischer und sein Team nach Baalbek, um die 360-Grad-Aufnahmen zu machen. Damit wurde ein 3D-Modell erstellt, das dann farbig am Rechner ausgefüllt wurde.
Nach Zeichnungen des Archäologen Theodor Wiegand
Basis des Modells waren Zeichnungen des Archäologen Theodor Wiegand von 1923. „Es musste nur leicht korrigiert werden“, sagte Burwitz. Das DAI lieferte die wissenschaftlichen Grundlagen für die Rekonstruktion. Mit der farbigen lebendigen Darstellung erhöhe sich das Interesse beim breiten Publikum.
Das Berliner Vermessungsbüro Trigonart machte mit einer Drohne die Luftaufnahmen und das DAI erstellte die Texte, die auch ins Arabische, Englische und Französische übersetzt wurden.
Frischer ist begeistert vom „virtuellen Tourismus“. Mit der digitalen Technik werde die Welt nicht nur kleiner gemacht und der Raum überwunden, sondern sie erlaube auch eine Reise in die Zeit. „Den Wechsel zwischen der archäologischen Wirklichkeit und dem Sprung in die Vergangenheit ist einzigartig. Der virtuelle Besuch bereitet den realen Besuch vor“, sagt Frischer – und darauf hoffen auch die libanesischen Behörde