Libanon: Fact-Checking in Zeiten von Corona

Im Libanon hat die Maharat Foundation die Fact-Checking-Seite „Fact-o-meter“ ins Leben gerufen. Das Ziel: die Bevölkerung verlässlich und objektiv zu informieren und Falschinformationen aufzudecken.

Wie begründet die Regierung politische Entscheidungen während der Corona-Krise? Sind radikale Maßnahmen wie Ausgangssperren legal? Auf welche politischen Aussagen kann ich mich verlassen? Eine neue Fact-Checking-Website der libanesischen Maharat Foundation , Partnerorganisation der DW Akademie, gibt Auskunft zu diesen Fragen. Ein Interview mit Layal Bahnam (LB), Programm-Managerin bei der Maharat Foundation, über Ziele, Methoden und Herausforderungen bei der Anwendung des „ Fact-o-meters “.MEDIEN | 07.04.2020

Libanon: Corona-Nachrichten aus Schatila

DW Akademie: Was war das Ziel bei der Entwicklung des Fact-o-meters?

LB: Das Fact-o-meter wurde entwickelt, um Aussagen von Politikerinnen und Politikern und Entscheidungsträgern auf ihren Wahrheitsgehalt zu prüfen. Wir wollen mit kritischem Journalismus verlässliche Informationen für Bürgerinnen und Bürger bereitstellen und von Politikerinnen und Politikern Verantwortlichkeit für ihre Worte einfordern.

Korruption ist ein wichtiges Thema in der libanesischen Gesellschaft: Im Oktober 2019 gab es einen großen Protest gegen die wachsende staatliche Korruption. Die Protestierenden beklagten Auswirkungen auf die Arbeit öffentlicher Institutionen, Propaganda und Falschinformation.

Seit 2017 gibt es ein Gesetz zum Recht auf Zugang zu Information, das bisher leider kaum etwas bewirkt: Weder Bürgerinnen und Bürger noch Journalistinnen und Journalisten können frei auf Informationen zugreifen oder diese anfordern. Diese Situation war für uns der Anlass, das Fact-o-meter zu starten. Damit prüfen wir die Aussagen von Politikerinnen und Politikern auf ihren Wahrheitsgehalt in vier Bereichen: Regierungsführung, Energie und Umwelt, Meinungsfreiheit und Genderfragen.

Screenshots des Fact-O-Meters, einer Fakt-Checking-Seite der Maharat Foundation im Libanon
Die geprüften Statements kommen aus vier Bereichen: Regierungsführung, Energie und Umwelt, Meinungsfreiheit und Genderfragen.

DW Akademie: Wie sieht der Fact-Checking-Prozess aus?

LB: Die Journalistinnen und Journalisten sammeln Daten zu verschiedenen Themen auf Grundlage von Gesetztestexten, offiziellen Dokumenten, Vertragsunterlagen und anderen evidenzbasierten Datenquellen. Anschließend gleichen sie offizielle Statements mit Hilfe von Expertinnen und Experten auf ihren Wahrheitsgehalt ab. Das Team sucht dazu im Netz und in den Medien nach Aussagen, die sich mit offiziellen Daten abgleichen lassen. Nach der Prüfung werden sie als wahr, halb wahr oder falsch eingestuft. Der Ansatz wurde in enger Zusammenarbeit mit der Fact-Checking-Community entwickelt, unsere Plattform wurde zudem kürzlich vom International Fact-Checking-Network (IFCN) als zertifiziertes Mitglied aufgenommen.

Um noch besser nach offiziellen Statements im Netz suchen zu können, entwickeln wir gerade den Maharat Tracker, ein Social-Media-Tool, um die Aktivitäten von politischen Entscheidern in den Sozialen Medien zu beobachten.

DW Akademie: Was sind die größten Herausforderungen bei der Faktenanalyse?

LB: Eine große Herausforderung ist die Tatsache, dass viele Politikerinnen und Politiker ihre Aussagen nicht auf offiziellen Daten aufbauen. Daher ist es schwierig, prüfbare Statements zu finden, die nicht nur Meinungen oder politische Positionen enthalten. Zudem ist die Arbeit in einer gespaltenen Gesellschaft wie der libanesischen schwierig, weil jede Aussage einen anderen Teil der Gesellschaft betrifft oder repräsentiert.

Screenshots des Fact-O-Meters, einer Fakt-Checking-Seite der Maharat Foundation im Libanon

Generell ist es nicht einfach, Zugriff auf öffentliche Informationen zu bekommen. Der Zugang dazu ist im Libanon stark eingeschränkt. Oft fehlt den Journalistinnen und Journalisten außerdem spezifisches Fachwissen in Bereichen wie Wirtschaft oder Recht, daher sind wir häufig auf die Expertise und Objektivität anderer angewiesen. Die politische Zugehörigkeit der sogenannten Expertinnen und Experten kann in diesem Zusammenhang ein Problem sein. Das Fakt-o-meter-Team arbeitet mit unseren hausinternen Juristinnen und Juristen, um Informationen, Beweise und Analysen miteinander abzugleichen.

DW Akademie: Wie wird das Tool bisher angenommen?

LB: Das Fact-o-meter ist noch ein relativ neuer Bereich auf der Website von Maharat News. Am Anfang gab es daher für uns eine längere Lernphase. Generell haben wir das Gefühl, dass die Menschen besonders Artikel teilen, die Bezug auf die Proteste und die Verantwortung der Regierung nehmen, vor allem wenn es um Energiethemen und gute Regierungsführung geht. Ein Artikel, in dem wir Aussagen des Regierungssprechers zu Öl und Gas geprüft haben, wurde etwa 1.000 Mal geteilt. Die Beiträge, die wir dazu auf Facebook verbreitet haben, erreichen 40.000 Viewer.

DW Akademie: Warum ist das Fact-o-meter gerade in der Corona-Krise so relevant?

LB: Wir haben Entscheidungen und Beschlüsse der Regierung zur Eindämmung des Corona-Virus analysiert. Zum Beispiel haben wir geprüft, ob ein Ausgehverbot verhängt werden darf, obwohl kein Notstandsgesetz vorliegt. Oder ob es legal ist, wenn während der Maßnahmen private Jets auf Flughäfen landen. Unsere Arbeit gewinnt besonders in solch einer Krise an Bedeutung, da Regierungen in diesen Situationen ihre Befugnisse ausdehnen, manchmal eben auch jenseits der Grenzen von Legalität, Notwendigkeit und Proportionalität.

Die DW Akademie unterstützt im Rahmen eines BMZ-Projekts seit mehreren Jahren als Partner die Arbeit der Maharat Foundation im Libanon und half bei der Entwicklung der Organisationsstrategie. Dazu gehörte die Entscheidung, das Thema Fact-Checking stärker in den Fokus zu nehmen. Zudem stärkt die DW Akademie gemeinsam mit dem Partner Fact-Checking-Initiativen in der arabischen Welt mit Veranstaltungen und Trainings.

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