Einst residierten hier Kaiser und Jazzstars, heute hat das Hotel Palmyra im libanesischen Baalbek kaum noch Gäste. Der Putz bröckelt. Doch die Atmosphäre ist einzigartig. Ein Besuch.
Ein altes Mercedes-Taxi fährt hupend und knatternd vorbei, verschleierte Frauen schieben Kinderwagen vor sich her, ohne das Gebäude zu beachten. Ein paar Männer rauchen am Straßenrand und schnippen die Zigarettenstummel vor das Eingangstor, das wegen des dichten Pflanzenwuchses kaum zu sehen ist. Das Schild, das einige Meter weiter hängt, ist auch keine große Hilfe. Auf vergilbten Lettern steht PALM RA, das Y in der Mitte fehlt, wer weiß, wie lange schon. Wer den Innenhof einmal findet und durch die Tür des Palmyra-Hotels schreitet, begibt sich auf eine Zeitreise.
Auf einmal ist der Straßenlärm verschwunden. In der Lobby, die in ihrer Erhabenheit einem Stadtpalast ähnelt, trifft Art déco auf osmanische Architektur. Kein Element erinnert daran, dass wir das Jahr 2016 schreiben, der modernste Gegenstand ist ein Telefon mit Kabel und Wählscheibe. Es steht in der unbesetzten Rezeption. Kein Laut ist zu hören, kein Mensch zu sehen. Der eigene Ruf hallt wider von den kühlen Steinwänden, ein vorsichtiges: “Hallo, ist hier jemand?”
Plötzlich sind Trippelschritte zu hören. Ein kleiner Mann blinzelt durch die Schwingtür, die zur Küche führt. Er trägt ein rotes Jackett, hat einen Buckel und kaum Zähne im Mund. “Willkommen in Baalbek, willkommen im Hotel Palmyra”, sagt er in gebrochenem Englisch und lacht. Dann verschwindet er wieder in der Küche und kehrt wenig später mit einer Kerze zurück. “Stromausfall”, sagt er entschuldigend.
Ein Festival zwischen Ruinen
Das Hotel ist ein Relikt aus der Zeit, als der Nahe Osten noch Sehnsucht und Neugier in Europäern weckte und immer mehr Reiseanbieter Touren an die Levante bewarben. 1874 von einem griechischen Unternehmer gebaut, liegt es genau zwischen Beirut und Damaskus, perfekt für einen Zwischenstopp. Doch das war nicht der einzige Grund, das Palmyra im libanesischen Baalbek zu bauen: Dem Hotel gegenüber liegen gigantische Ruinen, römische Prachttempel, die einst zu den größten im Nahen Osten gehörten.
In den Sechzigerjahren kamen Jazzgrößen wie Ella Fitzgerald, Nina Simone und Miles Davis nach Baalbek, um auf dem jährlichen Festival in den Ruinen zu spielen. Männer in Smokings und Frauen in eleganter Abendgarderobe reisten aus Beirut an. Und natürlich übernachtete alles, was Rang und Namen hatte, im Hotel Palmyra. Charles de Gaulle, Kaiser Wilhelm II., Gustave Flaubert – die Liste ließe sich endlos fortführen. Sie alle haben sich im goldenen Gästebuch verewigt, das inzwischen in einem Safe liegt.
Heute kommen kaum noch Gäste. Baalbek liegt im Osten des Libanons, im Bekaa-Tal, zehn Kilometer von der syrischen Grenze entfernt. Manchmal sind in der Ferne Schüsse zu hören. Abgesehen von den Ruinen ist Baalbek ein trostloses Städtchen. Die Wirtschaft schwächelt, auf den Äckern vor der Stadt campieren syrische Flüchtlinge, Männer mit Pistolen am Hosenbund laufen durch die Straßen. Auch die arbeitslosen Touristenführer, die vor den Ruinen herumlungern, wirken wenig vertrauenerweckend. “Ich kann euch die wahre Geschichte von Baalbek erzählen”, sagt einer: “Die Tempel wurden von Außerirdischen gebaut!”
Wer hier einen baldigen Touristenboom prognostiziert, muss schon sehr optimistisch sein. “Trotzdem war das Hotel seit seiner Eröffnung nicht einen einzigen Tag geschlossen”, sagt Geschäftsführerin Rima Husseini, eine elegante Frau in ihren Vierzigern. Sie könnte auch in New York oder Paris leben, aber sie hat ihr Herz an das Palmyra verloren und ist deshalb im Libanon geblieben. Ihr Mann Ali, ein wohlhabender Unternehmer, hat das Hotel 1987 von der Gründerfamilie übernommen und sich geschworen, es genauso weiterzuführen wie bisher. Das heißt: immer geöffnet zu haben, auch wenn es für ihn ein Minusgeschäft ist.
Der Butler arbeitet hier seit 1955
“Als ich das erste Mal hier war, habe ich sofort die Geschichte dieses Ortes gespürt”, sagt Husseini. “Es ist für mich ein Privileg, Wächterin des Palmyra zu sein.” Einer der frühen Orientalisten soll mal über die Ruinen von Baalbek gesagt haben: “Nichts hat das Recht, diese Steine zu berühren, außer der Zeit.” “Und so führen wir auch das Palmyra”, sagt Husseini. “Außer der Zeit soll nichts das Hotel berühren.”
Es ist ein romantischer Ansatz, der in der Realität aber auch bedeutet, dass aus den rostigen Wasserhähnen nur kaltes Wasser fließt, die Betten knarzen und die Kalkschicht in der Badewanne so dick ist, dass sie schon lange nicht mehr zu entfernen ist. “Ein kleiner Preis, wenn man dafür Originalwerke des Poeten Jean Cocteau im Zimmer hängen hat”, sagt Husseini.
Nicht nur das Hotel ist alt, seine Angestellten sind es auch. Ahmed, der beim Hoteleintritt die Kerze für den Klobesuch anbot, ist hier Butler und Mädchen für alles. Sein genaues Alter kennt er nicht, aber auf jeden Fall über achtzig. Wichtiger als sein Geburtstag ist für ihn das Jahr, in dem er im Palmyra anfing. 1955 war das, über 60 Jahre Betriebszugehörigkeit – ein Drittel der gesamten Hotelexistenz. “Das Palmyra”, sagt Ahmed, “ist in meinem Blut”.
Er schwärmt von den Zeiten, als er 200 bis 300 Gäste bediente, als ihn ein libanesischer Präsident bat, sich mit an den Frühstückstisch zu setzen und ein vom Service begeistertes texanisches Paar ihm einen symbolischen Scheck der “Bank der Dankbarkeit” auf eine Million Dankeschön ausstellte. Den Scheck trägt er noch heute in seinem Geldbeutel, neben seinem Ausweis, der ihn als schmucken jungen Mann zeigt.
Ahmed lebt für das Hotel. Nachmittags zieht er sich für ein Mittagsschläfchen zurück, aber nachts schläft er in der Lobby, falls einer der seltenen Gäste in den frühen Morgenstunden beschließt, doch noch ein Bier trinken zu wollen. Und wenn das Palmyra Bier vorrätig hat, was nicht immer der Fall ist, trägt Ahmed immer noch selbst das Tablett mit den orientalischen Snacks und Getränken in den ersten Stock.
Auch morgen wird Ahmed wieder hier sein, wie jeden Tag, obwohl keine Gäste angekündigt sind. Rima Hussein weiß, dass Ahmed eigentlich zu alt ist für seine Arbeit. Aber sie weiß auch, dass er nicht anders kann. “Wer einmal hier war”, sagt Hussein, “will immer wieder zurück an diesen magischen Ort.”