Mashrou’ Leila ist die bekannteste alternative Rock-Band im Nahen Osten – und die umstrittenste. Wegen ihrer Songs über Politik und Homosexualität werden Auftritte der Band immer wieder im islamischen Raum verboten. Mit Hamed Sinno, Lead-Sänger der Band, hat sich Ceyda Nurtsch unterhalten.
In arabischen Ländern wird Mashrou’ Leila regelmäßig verboten. So auch kürzlich in Jordanien. Gleichzeitig wächst der Bekanntheitsgrad der Band in Europa und in den USA immer mehr. Wie lässt sich der Erfolg der Band außerhalb der arabischen Welt erklären?
Hamed Sinno: In der arabischen Welt haben wir es tatsächlich mit Verboten zu tun. Trotzdem ist der Erfolg, den wir in Europa oder in den USA oder Kanada haben, nicht mit dem im Nahen Osten zu vergleichen. Es besteht ein generelles Interesse an der Region und Politik und am Verhältnis zwischen dem Nahen Osten und dem Rest der Welt . Leider haben viele im Westen die Vorstellung, dass jeder Mensch in der arabischen Welt extrem konservativ ist, unterdrückt wird oder selbst unterdrückt. Dabei ist es offensichtlich, dass dort genauso komplizierte Verhältnisse herrschen wie überall anders auch. Doch das spiegelt sich leider nicht in den Medien wider. Daher ist unsere Band für einige Menschen von besonderer Bedeutung. Ich finde es äußerst problematisch, durch einen eurozentrischen Blickwinkel globale Kultur wahrzunehmen und verstehen zu wollen.
Werdet Ihr in den arabischen Ländern vom Publikum anders empfangen als in Europa oder in den USA?
Sinno: Letztendlich kommt es einfach auf das Publikum an. Wir haben schon Konzerte in Europa gegeben, wo jeder aus dem Publikum die Musik bereits kannte und die Texte verstand, weil sie sich zuvor informiert hatten und die Band seit einiger Zeit kannten. Wir hatten Konzerte in Paris, die zur Hälfte von Europäern besucht waren. Aber sie alle sangen mit, weil sie sich gemerkt hatten, wie dieser oder jener Song klingen muss. Verallgemeinern lässt sich das aber nicht. Was wir in jedem Fall sehr schätzen, sind die Musikkritiken, die wir bislang in Europa und besonders in Kanada bekommen haben. Man merkt, dass sich die Autoren wirklich ernsthaft mit unserer Musik auseinandersetzen – mit dem Aufbau der Stücke und den Songtexten. Das gibt es im Libanon nicht sehr oft.
Sinno: Jeder von uns wurde schon heftig über die sozialen Netzwerke angegriffen, andererseits haben wir alle auch viel Unterstützung über die sozialen Netzwerke erfahren. Das ist Teil des Segens und des Fluchs, im Rampenlicht zu stehen. Einer von uns wurde zwei Mal persönlich in der Öffentlichkeit angegriffen, einmal in einer Bar in Beirut und einmal in Marokko. Bei diesem Streit ging es jedoch nicht um LGBT-Fragen, sondern vielmehr um den Konservativismus innerhalb der arabischen Gesellschaft. Uns wurde auch schon vorgeworfen, wir würden die arabische Sprache zerstören. Doch wir haben ein dickes Fell – ab einem gewissen Punkt nehmen wir solche Vorwürfe nicht mehr persönlich.
Der englische “Guardian” schrieb jüngst über Mashrou’ Leila, die Band verkörpere eine “schillernde Aura des Widerstands”. Betrachtet Ihr Euch in erster Linie als “Widerstands-Band”, die eine bestimmte Mission verfolgt?
Sinno: Widerstand zu leisten und eine Mission zu haben, sind zwei verschiedene Dinge. Wir begreifen uns als eine Band, die Widerstand leistet. Allein was unsere Entwicklung als Band betrifft, so war es doch ein ständiger Kampf, an unserem Musikprojekt in einem Land festzuhalten, in dem es keine wirkliche Infrastruktur für alternative Musik gibt – und wo man als Musiker auch keine kulturelle Anerkennung erfährt. Wir wollten aber nicht wie der musikalische Mainstream klingen und versuchen, alles “arabisch” zu reproduzieren, was im Grunde genommen eine Neuadaption arabischer Folklore bedeutet hätte (und die man dann den Leuten unter der Prämisse “kollektiver Identität” unterjubeln würde). Eine weitere Herausforderung stellen die Textinhalte unserer Stücke dar. Damit haben einige Menschen ganz klar ein Problem.
Kurz nach Eurer Gründung setzte der sogenannte Arabische Frühling in einigen islamisch geprägten Staaten ein. Inwiefern haben Euch die Protestbewegungen in der arabischen Welt beeinflusst?
Sinno: Der “Arabische Frühling” ist eine Bezeichnung, die an sich etwas seltsam anmutet. Dieser Ausdruck wurde von westlichen Medien geschaffen, um die Komplexität im Nahen Osten schlichtweg zu vereinfachen. Damit versuchte man zu beschreiben, was in diesen doch sehr verschiedenen Ländern vor sich ging – Staaten, die ja ihre ganz eigenen Probleme haben und deren Bevölkerungen aufbegehrten. Viele Libanesen würden argumentieren, dass dieser “Arabische Frühling”, das heißt diee politischen Spannungen in der Region, bereits 2005 mit dem sogenannten “Libanesischen Frühling” in ihrem Land einsetzten. In dieser Atmosphäre aufzuwachsen, machte vielen Menschen deutlich, wie nahe doch Politik am täglichen Leben ist, dass eigentlich alles politisch ist. Das hat uns vieles bewusst gemacht und unser Interesse geweckt, was wiederum unsere Arbeit beeinflusst hat.
inno: Natürlich versuchen wir, so lange wie möglich Musik zu machen. Die Musiker, die wir am meisten bewundern, sind Leute, die es geschafft haben, einen langen Karriere-Weg einzuschlagen. Außerdem wäre es sehr wünschenswert, irgendwann einmal nicht mehr als Weltmusik-Band, sondern als Indie-Rock-Band wahrgenommen zu werden, die zufällig Musik auf Arabisch macht. Wir machen keine Weltmusik! Die Vorstellung von Weltmusik suggeriert, dass alles, was außerhalb von Europa oder Nord-Amerika entsteht, zwangsläufig anders sein muss. Als würde man sagen: “Das sind wir – und alles andere ist der Rest der Welt”. Das ist eine sehr problematische, vereinfachende Sicht der Dinge.
Außerdem gibt es diese typischen Mutmaßungen, was oder wie Araber sind. Ein Beispiel: Als wir einmal auf ein Festival im Westen eingeladen wurden, sollten wir in einem Zelt auftreten, das mit einem “magischen Teppich” dekoriert war. Weil wir aus dem Libanon kommen, glaubt man, unser Catering müsse aus Kebab und schlechtem Humus bestehen. Das ist auch eine Form der Beleidigung. Nach dem Motto: Du kommst in deiner Eigenschaft als Musiker, aber wir behandeln dich in deiner Eigenschaft als Araber! Wir wissen, dass dahinter vielleicht eine gute Absicht steht und die Leute eigentlich nur versuchen, nett zu sein. Wir machen den Menschen, die solche Festivals organisieren, auch keien Vorwürfe. Es handelt sich um ein viel größeres Problem, nämlich um eines der Repräsentation – nämlich wie die Medien den Leuten eingetrichtert haben, wie Araber sein müssten.