Aufstieg zur Weltmacht und Abstieg in der Gegenwart
In vielen Abhandlungen werden die USA als Weltmacht wider Willen bezeichnet. Ein Studium der amerikanischen Geschichte lässt aber schnell erkennen, dass diese Aussage nicht zutrifft. Kaum war der Unabhängigkeitskrieg gegen Grossbritannien mit dem Frieden von Paris 1783 beendet, beanspruchte der US-Kongress bereits 1787 die Verwaltung über die bis vor kurzer Zeit durch Indianer besiedelten Gebiete nordwestlich des Ohio. 1803 kauften die USA von Napoleon das Louisiana-Territorium.[1] Dadurch wurde die Fläche der USA beinahe verdoppelt. Die Regierung liess den fernen Nordwesten und die spanischen Gebiete von Colorado und Neu-Mexiko erforschen.
Unter dem Vorwand von Übergriffen britischer Kriegsschiffe auf amerikanische Handelsschiffe zwecks Aufspüren britischer Deserteure zettelten die USA 1812 mit Grossbritannien einen Krieg an. Das eigentliche Ziel dieses Krieges war aber die Eroberung von Kanada durch die USA. Da der Widerstand der britischen Truppen, unterstützt durch indianische Kontingente des Häuptling Tecumseh, sich als zu stark erwies und die Frankokanadier nicht bereit waren die britische Herrschaft abzuschütteln, kam es 1814 zu einem Friedensschluss.[2] 1818 wurde der Streit um Oregon zwischen den USA und Grossbritannien durch ein Abkommen friedlich beigelegt.[3] 1823 verkündete Präsident Monroe die Monroe-Doktrin. Das nicht erklärte Ziel der Doktrin dürfte ganz eindeutig das Herausdrängen der europäischen Grossmächte aus dem amerikanischen Doppelkontinent gewesen sein.
Nachdem Andrew Jackson als General die Indianerstämme der Creeks blutig niedergeworden hatte und keinen entscheidenden Krieg gegen die Seminolen in Florida geführt hatte, liess er als Präsident (1829-37) die riesigen Territorien der auf einer hohen Kultur stehenden Fünf Zivilisierten Indianerstämme im Südosten enteignen und diese Stämme über den Mississippi nach Oklahoma deportieren. 1850 waren die USA östlich des Mississippi beinahe Indianerfrei.[4]
Nach der Annektierung der unabhängigen Republik Texas durch die USA, befahl Washington April 1846 General Zachary Taylor Mexiko anzugreifen. Gleichzeitig landete General Winfield Scott mit einer Armee bei Vera Cruz. In einem Zangenangriff wurde Mexiko, trotz der erbitterten Abwehr seiner Armee, niedergeworfen und Mexiko City besetzt.[5] Nach dem Sieg befürworteten amerikanische Politiker sogar die gesamte Einverleibung des Landes durch die USA. Mit dem Vertrag von 1848 begnügten sich die USA mit der Abtretung aller Gebiete östlich von Kalifornien. Mit dieser Annektierung eroberten die USA neben Kalifornien die riesigen Gebiete von Texas, Neu-Mexiko, Utah und Nevada mit insgesamt 850‘000 Quadratmeilen.[6]
Nach dem für den Norden erfolgreichen Sezessionskrieg 1861-65 wurden zunächst die Südstaaten einem brutalen Besatzungsregime unterworfen. 1867 konnten die USA von Russland Alaska für 7.2 Millionen Dollar kaufen.
Zur Förderung des Eisenbahnbaus im Westen beschloss Washington die freien Sioux zwangsweise in die Reservationen zu treiben und ihr Land für die Eisenbahn- und Rinderbarone zu konfiszieren. Erst nach der, für die Sioux erfolgreich verlaufenen Schlacht vom Little Bighorn von 1876, gelang es der US Army alle Sioux zu unterwerfen und in Reservationen einzupferchen. Ihrer Unterwerfung diente auch die Ausrottung der Büffelherden. 15 bis 30 Millionen Büffel wurden dabei massakriert.[7] Das Ende des Krieges gegen die Sioux war am 21. Januar 1891 das Massaker an einem unbewaffneten Sioux-Stamm bei Wounded Knee durch das 7th Cavalry Regiment, das frühere Regiment des bei Little Bighorn besiegten Oberstleutnant Custer, mit Hotchkiss-Maschinengewehren.[8]
1898 zettelten die USA ohne Not gegen die frühere, sich auf dem Abstieg befindliche Seemacht Spanien einen Krieg an, der vom 21. April bis 10. Dezember dauerte.[9] Die total veralteten spanischen Seestreitkräfte wurden durch die moderne US Navy vor Kuba und im Pazifik versenkt. Kuba, die frühere Kolonie der Spanier, wurde zu einem Vasallenstaat der USA, und die Philippinos wechselten die Kolonialherren. Gegen die USA als Kolonialmacht führten sie einen mehrjährigen Widerstandskrieg. Im gleichen Jahr annektierten die USA die Inselgruppe von Hawaii, deren Unabhängigkeit sogar die Briten unter ihrer Queen Victoria anerkannt hatten.
Nach der Ermordung von Präsident McKinley 1901 wurde der Imperialist Theodore Roosevelt Präsident (1901-09). Unter ihm sicherten sich die USA die Rechte auf den Panamakanal. Dieser wurde 1914 eröffnet. Aufgrund eines angeblichen Briefverkehrs zwischen Deutschland und Mexiko erklärten die USA am 6. April 1917 dem Deutschen Reich den Krieg. Während des Krieges konnten die USA von Dänemark die Jungfern-Inseln kaufen. Am 11. November 1918 musste das Deutsche Reich angesichts der militärischen Überlegenheit der USA, Briten und Franzosen einem Waffenstillstand zustimmen, der für Deutschland mit dem katastrophalen Vertrag von Versailles endete. Dank diesem für sie erfolgreichen Krieg konnten die USA die machtpolitische Stellung der europäischen Grossmächte beerben.
Noch vor dem Eintritt in den Krieg gegen das Dritte Reich verabschiedete die Roosevelt-Administration am 11. März 1941 mit dem britischen Premier Churchill das Pacht- und Leihgesetz. Am 11. August 1941 verkündeten die beiden Staaten die Atlantik-Charta, die gegen das Dritte Reich gerichtet war. Unter bis heute nicht erforschten Voraussetzungen gelang es Japan am 7. Dezember 1941 in einem Überraschungsangriff auf Pearl Harbor den grössten Teil der Pazifikflotte der USA zu vernichten. Von diesem Schlag erholten sich aber die USA militärisch sehr schnell. Bereits während des Zweiten Weltkrieges wurden die USA sowohl im Atlantik wie auch im Pazifik zur beherrschenden Kriegsmacht. Die bis anhin darniederliegende zivile Industrie wurde auf Kriegsproduktion umgeschaltet. Die USA produzierten in schneller Kadenz Bomber, Kampfflugzeuge, Kriegsschiffe, Panzer, Artilleriegeschütze, mit denen sowohl die eigenen Streitkräfte wie auch jene der Briten und Russen ausgerüstet wurden. Am 8. Mai 1945 musste das Dritte Reich kapitulieren und wurde in der Konferenz von Potsdam in verschiedene Besatzungszonen aufgeteilt.
Am 6. August 1945 wurde gegen das beinahe besiegte Japan die erste Atombombe abgeworfen. Es folgte am 9. August der Abwurf der zweiten Bombe. Am 15. August kapitulierte das japanische Kaiserreich. Das Kerngebiet Japans wurde durch die USA besetzt. Die übrigen durch Japan eroberten Gebiete wurden entweder an die alten Kolonialmächte Grossbritannien, Frankreich und die Niederlande wieder abgetreten oder zwischen den USA, Russland und China aufgeteilt. Der Zweite Weltkrieg führte zur wirtschaftlichen Dominanz der USA über den Rest der Welt. Die politische und militärische Machtstellung, insbesondere in Europa, mussten die USA allerdings mit der Sowjetunion teilen. Von 1950 bis 1953 führten die USA und ihre Alliierten unter UNO-Flagge Krieg gegen China und Nordkorea.
Nach 1953 intervenierten die USA immer wieder ausserhalb des eigenen Machtbereichs, so auch im Libanon. Von 1965 bis 1973 dauerte ihr Krieg gegen Nordvietnam und den südvietnamesischen Vietcong. Nach ihrem Abzug wurde 1975 Südvietnam durch Nordvietnam militärisch überrannt und danach mit dem Norden vereinigt. Dieser Rückschlag konnte aber die geopolitische Machtstellung der USA in der Welt nicht mindern. Dank einer geschickten Aussenpolitik gelang es der Nixon-Administration China gegen die UdSSR auszuspielen. Unter der Reagan-Administration betrieben die USA ab 1981 eine offensive Eindämmungspolitik gegen Moskau. Dazu gehörte auch die Unterstützung der afghanischen Mujaheddin gegen die sowjetische Besetzung des Landes.
Aufgrund der wirtschaftlichen Probleme, die durch ihre massive Aufrüstung in den 70er Jahren noch verschärft worden waren und ihres militärischen Abenteuers in Afghanistan, das mit dem Abzug von 1989 beendet wurde, zerbrach die Sowjetunion 1990 bis 1991. Allerdings blieb das Kerngebiet der UdSSR mit der Russischen Föderation erhalten. Die USA nützten den Abstieg und Zerfall der UdSSR machtpolitisch aus. Sie wurden dadurch zur unbestrittenen Weltmacht mit imperialen Anspruch. 1991 zerschlugen die USA mit ihren Alliierten im Zweiten Golfkrieg die Militärmaschinerie des irakischen Diktators Saddam Hussein. Bis 2003 führten die USA immer wieder Luftschläge gegen den Irak aus.
1995 folgte die militärische Intervention der USA und der NATO in Bosnien und 1999 der NATO-Luftkrieg gegen Serbien, der mit der Kapitulation von Belgrad endete. Dieses Ende ermöglichte den USA und ihrer Alliierten die Gründungen eines unabhängigen Kosovo, der in der Folge zunehmend durch die Organisierte Kriminalität beherrscht wurde.
Am 11. September 2001 führte die Terrororganisation al-Kaida des Saudi Osama bin Laden mit Passagierflugzeugen einen Anschlag auf die beiden Türme in New York und auf das Pentagon aus, dessen Voraussetzungen bis auf den heutigen Tag nicht geklärt worden sind. Die amerikanische Vergeltung gegen das Taliban-Regime, das bin Laden in Afghanistan Schutz gewährte, erfolgte verzugslos am 7. Oktober. Das Land wurde bombardiert, die Herrschaft der islamistischen Taliban brach zusammen und am 6. Dezember wurde das Land durch eine US-geführte Allianz besetzt. Beinahe aus dem Stand löste anschliessend die Bush-Administration 2003 den Dritten Golfkrieg gegen den Irak aus. Auch der Irak wurde durch die Koalition der Willigen der USA besetzt.
Sowohl in Afghanistan wie auch im Irak setzte sehr bald ein bewaffneter Widerstand gegen die USA und ihre Alliierten ein. Während die USA Ende 2011 ihre Truppen vollständig aus dem Irak abzogen, haben sie immer noch 10‘000 US-Truppen in Afghanistan stationiert und führen gegen die erstarkten Taliban Krieg. Dank der US-geführten Besetzung konnte sich al-Kaida im Irak etablieren. Nach dem Abzug ist al-Kaida zum Islamischen Staat (IS) mutiert. Diese Organisation herrscht heute über weite Gebiete des Iraks und auch über Teile, des durch einen brutalen Bürgerkrieg verwüstete Syrien. Seit 2 Jahren führt die Obama-Administration mit der Unterstützung einer Koalition einen Luftkrieg gegen IS. Zum eigentlichen Nutzniesser dieses Luftkrieges könnte aber Teheran werden, das seine schiitischen Alliierten im Irak und in Syrien mit der Unterstützung Russlands militärisch unterstützt und die eigene Machstellung im Mittleren Osten ausbauen will.
Die verschiedenen nach 1990 geführten Interventionen und Kriege dürften sich auf die USA wie folgt ausgewirkt haben:
die US-Streitkräfte wurden dadurch militärisch überdehnt und durch den enormen Kriegsverschleiss an Material und Menschen geschwächt;
teilweise auch wegen diesen Kriegen mussten sich die USA vor allem bei China und Japan mit Tausenden von Milliarden Dollars verschulden;
aufgrund der masslosen Verschuldung und der Finanzkrise von 2008 sind die USA in eine Rezession gerutscht, von der sie sich bis heute noch nicht ganz erholt haben;
als Folge der Rezession ist der amerikanische Mittelstand verarmt. Die Schere zwischen Arm und Reich ist in den USA immer grösser geworden;
die amerikanische Infrastruktur (Bahnen, Brücken, Strassen) befindet sich in einem trostlosen Zustand. Diese Infrastruktur könnte nur durch enorme Investitionen saniert werden. Die finanziellen Mittel dazu fehlen aber;
der wirtschaftliche Abstieg der USA hat entscheidend zu ihrem geopolitischen Abstieg beigetragen. Die USA sind heute nicht mehr in der Lage als Weltmacht aufzutreten. Den machtpolitischen Herrschaftsanspruch über die Welt müssen die USA heute mit China und Russland teilen.
Donald Trump versus Hillary Clinton
Offensichtlich befinden sich die USA in einer wirtschaftlichen und geopolitischen Krise. In dieser Krisenzeit werden die USA durch einen Präsidenten geführt, der von Macht- und Geopolitik nichts wissen will und Konflikten ausweicht. Eine Grossmacht kann aber nur überleben, wenn sie seinen Herausforderern die Stirn bietet. Die Ergebnisse der bisher durch Obama geführten Kriege – Afghanistan und Irak – lassen den Untergang plausibel erscheinen.
Ausgerechnet in dieser für die USA kritischen Zeit muss die amerikanische Bevölkerung einen neuen Präsidenten oder eine Präsidentin wählen. In beiden Lagern, den Republikanern und den Demokraten, stehen aber zwei Kandidaten zur Auswahl, die entweder bei den Parteioberen unbeliebt oder bei der Masse der Wählerinnen und Wählern auf Ablehnung stossen. Bei den Republikanern sieht es danach aus als ob der Milliardär und Casinobesitzer Donald Trump das Rennen machen würde. Bei den Demokraten könnte die frühere Präsidentengattin und Aussenministerin Hillary Clinton, die bei der Mehrheit der demokratischen Wählerbasis keine grossen Sympathien geniesst, zur ersten Wahl werden. Welche Aussen- und Sicherheitspolitik könnten ein Präsident Trump oder eine Präsidentin Clinton verfolgen? Auf einer durch die USA bestimmten Aussen- und Sicherheitspolitik beruht im Endergebnis die Sicherheit Europas. Ohne US-Garantien dürften die Europäer sehr bald zu Vasallen von Russland werden.
Der amerikanische Strategieexperte Edward N. Luttwak hat in einem kürzlich erschienenen Beitrag im Wall Street Journal die mögliche Aussen- und Sicherheitspolitik von Trump skizziert.[10] Trump würde seine Wählerschaft enttäuschen wenn er für die Beendigung des Bürgerkrieges Truppen nach Syrien oder für die Entwaffnung der Milizen Truppen nach Libyen entsenden würde oder zwecks Erhaltung der vom Iran dominierten Regierung im Irak intervenieren oder zur Stabilisierung einer korrupten und unfähigen Regierung mehr Truppen nach Afghanistan abkommandieren würde. Nach Luttwak wird ein Präsident Trump nichts dergleichen unternehmen. Er wird alle Truppen aus Afghanistan und dem Irak abziehen; er wird weder in Libyen noch in Syrien oder irgendwo in der islamischen Welt militärisch intervenieren. Im Gegenteil, er wird in der Zukunft die US-Streitkräfte vor sinnlosen Einsätzen bewahren. Vermutlich wird er auch den Beitrag der USA für die NATO in Frage stellen. Er könnte die europäischen Alliierten mit der Alternative der Erhöhung ihrer militärischen Leistungen oder des Rückzug der USA aus Europa konfrontieren. Mit diesem Rückzug würde aber das bisherige militärische Gleichgewicht in Europa zwischen der NATO und Russland in Frage gestellt werden.
Hillary Clinton dürfte eine gemässigte Variante der von ihrem Mann früher betriebenen Aussen- und Sicherheitspolitik verfolgen. Dazu könnte eine reduzierte militärische Präsenz der USA im Mittleren Osten und im Persischen Golf gehören. Dabei würde sie vermutlich soweit als möglich die machtpolitischen Ambitionen des russischen Präsidenten Wladimir Putin in dieser Region in Schranken halten wollen.
Mit der Unterstützung der Alliierten Australien, Japan, Philippinen und Thailand würde sie auch den Versuch unternehmen, den Ambitionen Chinas im westlichen Pazifik Einhalt gebieten zu wollen.
In Europa dürfte Clinton die bisherige bescheidene Präsenz der USA zugunsten der NATO aufrechterhalten wollen. Ein Mehreinsatz der USA dürfte aber kaum in Frage kommen. Mit Sicherheit würde sie auch keinen Beitrag zur Verteidigung der Ukraine leisten wollen. Ihr Ziel wäre das Einfrieren des gegenwärtig in Europa bestehenden militärischen Zustandes.
Ein neues macht- und geopolitisches Zeitalter in der Welt?
Vor allem die europäischen Staaten werden sich sehr bald damit abfinden müssen, dass das Zeitalter der unbestrittenen geopolitischen Dominanz der USA beendet ist. In diesem und im nächsten Jahrzehnt wird die Welt durch ein macht- und geopolitisches Dreieck zwischen den USA, Russland und China bestimmt werden. Ob dieser Zustand auf die Dauer aufrechterhalten werden kann und zu einer macht- und geopolitischen Stabilität in der Welt führen wird, kann heute niemand voraussagen.