Schweizer Ober-Muslim spielt mit dem Feuer

Kein Austausch von Zärtlichkeiten in der Öffentlichkeit! Was der Präsident der Koordination Islamischer Organisationen Schweiz (KIOS) fordert, sorgt für riesige Empörung.

Der Schweizer Schriftsteller Claude Cueni (60) ist empört über den obersten Muslim der Schweiz. Farhad Afshar (72) hat nach dem Attentat von Orlando als Präsident der Koordination Islamischer Organisationen Schweiz (Kios) in der Zeitung «20 Minuten» folgende Aussage gemacht: «Der Islam toleriert generell keinen Austausch von Zärtlichkeiten und Intimitäten in der Öffentlichkeit, weder hetero- noch ­homosexuelle.»

Farhad Afshar ist Soziologe und Schweizer iranischer Herkunft. Was meint er mit dieser Aussage? Will er seinen Glaubensbrüdern und -schwestern in der Schweiz das Küssen auf der Strasse verbieten?
Wandern Sie doch aus!
Atheist Cueni schreibt in einem offenen Brief, den er auf Facebook veröffentlichte: «Lieber Herr Afshar, religiöse und beliebig interpretierbare Schriften aus dem 6. Jahrhundert stehen bei uns nicht über der Verfassung.» Der Schriftsteller betont, Schweizer seien stolz auf ihre Freiheitsrechte. Seine Aufforderung an Farhad Afshar: «Wenn Ihnen das nicht gefällt, müssen Sie es trotzdem ertragen. Wenn Sie es nicht ertragen, steht es ­Ihnen frei, in eines der zirka fünfzig muslimischen Länder auszuwandern.»

Cueni zu BLICK: «Ich halte die Aussage von Herrn Afshar in seiner Funktion als Kios-Präsident für verantwortungslos.»
Auf Anfrage schränkt Farhad Afshar seine Aussage ein: Sie gelte als Grundprinzip für die Mitgliedsländer der islamischen Umma. Das ist die Weltgemeinschaft der 56 Nationen in der
Organisation für Islamische Zusammenarbeit (OIC). Darunter sind beliebte Feriendestinationen wie Ägypten, Indonesien und die Malediven. Auch europäische Länder wie Albanien und die Türkei sind dabei.

Rechenschaft ablegen

Afshar präzisiert: «Das gilt aber nicht für Muslime in der Diaspora.» Also nicht für Mus-lime, die ausserhalb ihrer Heimat leben. Afshar: «Es ist klar, dass Muslime weltweit den lokalen Gesetzen unterstehen und sie diese befolgen müssen. Indem sie sich in der Schweiz niederlassen, schliessen sie mit dem Land einen Vertrag ab, den es einzuhalten gilt.»
Es liege in der Ethik eines jedes Einzelnen, ob er in der Öffentlichkeit Zärtlichkeiten austauschen wolle oder nicht. Farhad Afshar: «Niemand ausser die Konventionen, guten Sitten und die Gesetze setzt Grenzen.» Die Toleranz erfor-dere es jedoch, dass man sich selber darüber Rechenschaft ablege, was einem persönlich richtig erscheine. «Das müssen andere noch lange nicht grossartig finden und dafür Anerkennung zollen.»

Keine Vorgabe aus dem Koran
Auch in modernen islamischen Kreisen stösst die Aus­sage von Farhad Afshar auf Unverständnis. Saïda Keller-Mes­sahli (58) vom Forum für einen fortschrittlichen Islam weist da­rauf hin, dass sich solche Aussagen nicht auf den Koran berufen, sondern auf die Überlieferung vor allem der Hanbaliten aus dem 13. Jahrhundert. Der Hanbalismus sei die Basis des saudischen Rechtssystems und diene heute weltweit Islamisten und Salafisten als geistiger Nährboden. Keller-Messahli: «Seine abscheuliche Fratze zeigt sich freitags in Riad, wenn öffentliche Auspeitschungen und Hinrichtungen stattfinden.»

Saïda Keller-Messahli übt heftige Kritik an der Kios: «Die Moscheenverbände, die dieser angeblichen Koordinationsstelle angeschlossen sind, kooperieren mit Salafisten und versuchen, politischen Einfluss in staatlichen Institutionen zu nehmen.» Sie fordert die Einführung eines Rates laizistischer Muslime, der demokratisch legitimiert wäre, um für alle Mus­lime zu sprechen.
Keller-Messahli zu Afshars Aussage: «Wer im 21. Jahrhundert noch solche Regeln hochhält, offenbart seine freiheits- und menschenfeindliche Gesinnung.»