Der renommierte ägyptische Schriftsteller Alaa al-Aswani war einer der Initiatoren und Unterstützer des Aufstands gegen das Mubarak-Regime im Jahr 2011. Seither ist er ein wichtiger Regierungskritiker geblieben. Mit ihm hat sich Sabine Peschel unterhalten.
Der zukünftigen Entwicklung in Ägypten haben Sie stets optimistisch entgegen geblickt. Sie sagten 2013: “Ich glaube an die Menschen und an die Revolution.”
Würden Sie das jetzt immer noch so sagen?
Alaa al-Aswani: Absolut. Ich bin nicht gerade glücklich über die Geschehnisse in Ägypten, aber dennoch optimistisch. Und ich bin optimistisch aus objektiven Gründen. Weil ich über die Geschichte von Revolutionen viel gelesen habe und von daher weiß, dass Revolutionen eben Zeit benötigen.
Nehmen wir ein klassisches Beispiel: die Französische Revolution. Selbst innerhalb von fünf Jahren wurde nichts erreicht, und die Situation war total chaotisch. In Frankreich tötete jeder jeden, aber am Ende hat die Revolution gesiegt. Deshalb glaube ich immer noch an das ägyptische Volk und an die Revolution.
Wie würden Sie als Mitgründer der Bürgerrechtsbewegung “Kifaya” (Genug!) die
Situation im Nachhinein beurteilen? An welchem Punkt schlug der Arabische
Aufstand eine falsche Richtung ein?
Al-Aswani: Unser Hauptfehler war es, dass wir nach dem Rücktritt Mubaraks den Tahrir-Platz verlassen haben, ohne eine Kommission mit Vertretern der Revolution zu bilden. Vor der Wahl von Revolutionsvertretern für alle ägyptische Regionen hätten wir den Platz nicht räumen sollen.
Sie haben Präsident Abdel Fattah al-Sisi als neuen Mubarak bezeichnet. Ist Ägypten zu einer Militärdiktatur geworden?
Al-Aswani: Seit 1952 sind wir als Volk zwischen zwei furchtbaren Optionen hin und hergerissen: eine Diktatur gestützt von der Armee oder eine Diktatur von religiösen Fanatikern. Die Revolution verfolgte einen dritten Weg – nämlich das Ziel, einen demokratischen Staat aufzubauen, der weder von der Religion, noch vom Militär bestimmt wird.
Im Jahr 2013 unterstützten Sie den Sturz des damaligen Präsidenten Mohammed Mursi und bezeichneten die Muslimbruderschaft als eine Gruppe von islamistischen Terroristen. Aber jetzt gibt es immer weniger Raum für eine freie bürgerliche Gesellschaft. Übertreibt das Militärregime von Al-Sisi nicht die Gefahren, die von den Muslimbrüdern ausgehen?
Al-Aswani: Nein. Es ist absolut gerechtfertigt, die Muslimbrüder als Terroristen zu bezeichnen. Nach der Militärintervention von 2013 brannten sie 200 Kirchen nieder und töteten viele Menschen. Das war der Zusammenhang, in dem ich sie Terroristen nannte. Der Grund, warum ich und viele Millionen Ägypter vorgezogene Präsidentschaftswahlen verlangten, war Mursis Erlass vom November 2012, der das demokratische System und die ägyptische Gesetzgebung ausschaltete, um Mursi zu einer Art türkischem Sultan zu erheben. Und das war für niemanden akzeptabel. Ich bin absolut gegen das Massaker an Mitgliedern der Muslimbruderschaft und ich bin gegen die Unterdrückung durch das jetzige Regime. Aber ich war ebenfalls gegen den Erlass von Mursi als Präsident im Sinne der Muslimbruderschaft, weil das ein diktatorischer Akt war.
Sie unterstützten 2013 das Militär, aber viele der Revolutionäre, zu denen Sie damals hielten, sitzen jetzt im Gefängnis. Werden auch Sie selbst angegriffen?
Al-Aswani: Ja, ich bin von Anfang an unter Druck gesetzt worden. Die Ägypter verlangten vorgezogene Präsidentschaftswahlen, Millionen von Menschen waren auf der Straße, weil sie Mursi nicht trauten – niemand traute ihm. Zu jener Zeit verlangten Tausende von Islamisten die Ermordung von jenen Millionen, die sich gegen die Muslimbruderschaft erhoben hatten. Es gab Islamisten, die in ihren Reden damit drohten, sie würden ganze Flüsse mit Blut füllen. Meiner Meinung nach war es die Pflicht der Armee, militärisch einzugreifen, um einen Bürgerkrieg zu verhindern. Aber diese militärische Intervention hätte nicht dazu führen dürfen, dass die Armee an die Macht gelangte.
Ich habe Al-Sisi nie als Präsidenten unterstützt. Und ich schrieb, – damals durfte ich noch in Ägypten publizieren – dass die Wahl von Al-Sisi nicht demokratisch verlief, und ich habe diese Behauptung mit Beweisen untermauert. Deshalb werde ich bedroht. Während der letzten zwei Jahre war ich nicht in der Lage, meine Artikel zu veröffentlichen. Ich werde von den Medien angegriffen, ich darf nicht im Fernsehen auftreten. Ich fühle mich überhaupt nicht sicher.
Haben Sie je daran gedacht, Ägypten zu verlassen?
Al-Aswani: Ich hätte Möglichkeiten, woanders zu leben. Aber ich werde Ägypten nicht verlassen, solange ich das nicht muss. Wie andere Menschen auch möchte ich in meinem Land bleiben. Aber wenn ich das Gefühl bekommen sollte, dass ich nicht mehr anders kann, dann werde ich wohl gehen müssen.
Wie funktioniert die Zensur in Ägypten?
Al-Aswani: Im Kultur- und Medienbereich herrscht eine offizielle Zensur, d.h. für Fernsehen, Theater und Kino. Aber selbst Bücher unterliegen strenger Zensurauflagen, auch wenn sie nur inoffizielle Weise zur Geltung kommen. In Ägypten befinden sich alle nicht-staatlichen Fernsehkanäle und Zeitungen in privatem Besitz. Und diese Geschäftsmänner können Probleme mit dem Regime gar nicht gebrauchen. Ein Anruf von Sicherheitsbeamten bei einem solchen Geschäftsmann reicht bereits aus, um den Vertrag mit einem Autor zu kündigen, oder einen Moderator vom Bildschirm zu verbannen. Freunde von mir wurden so behandelt und mir ist das auch schon passiert. Der Besitzer der Zeitung tat alles, was er konnte, um mich dazu zu bringen, zu gehen und von da an gab er mir nie wieder Aufträge. Diese Zensur wirkt also indirekt. Sie ist zwar weder sichtbar, noch offiziell, aber sie ist dennoch vorhanden.
Auch ausländische NGOs sind in Ägypten derzeit in Bedrängnis. Wie sehen Sie die Rolle Europas in Ägypten und seinen Anspruch, sich für die Menschenrechte am Nil einzusetzen?
Al-Aswani: Ehrlich gesagt, erwarte ich nicht allzu viel von den westlichen Regierungen, wenn es darum geht, die Demokratie in der arabischen Welt zu unterstützen. Schließlich haben westliche Regierungen, darunter auch die US-Regierung, schon immer die Interessen von multinationalen Unternehmen und von der Industrie unterstützt. Es tut mir leid, das sagen zu müssen, aber ich sage immer, was ich denke. Ich glaube, die meisten westlichen Regierungen sind gerne bereit, jedweden Diktator zu unterstützen, solange das westlichen Firmen Geld einbringt.
Aber wenn es um die Menschen in der westlichen Welt geht, sehe ich da einen großen Unterschied. Westliche Regierungen haben Mubarak 30 Jahre lang unterstützt – und sie wussten sehr wohl, was für ein schrecklicher Diktator er war. Aber die Menschen im Westen haben die Revolution unterstützt. Viele europäische Intellektuelle haben großes Verständnis für unseren Kampf für die Demokratie aufgebracht. Westliche Regierungen und westliche Menschen schmeiße ich deshalb auch nicht in ein und denselben Topf.
Sie sind ein Bestsellerautor. Allein in Ägypten wurden Hunderttausende Exemplare Ihrer Romane “Der Jakubijan-Bau”, “Chicago” und “Der Automobilclub von Kairo” verkauft und in 30 Sprachen übersetzt. Auch die Verfilmung von “Der Jakubijan-Bau” erhielt international viel Anerkennung. Wie teilen Sie Ihre Zeit auf zwischen Ihren politischen Aktivitäten und dem Schreiben? Und arbeiten Sie außerdem auch noch als Zahnarzt?
Al-Aswani: Ja, ich arbeite immer noch als Zahnarzt.
Wirklich?Al-Aswani: Ja. Länger als fünf oder sechs Stunden pro Tag kann ich nicht schreiben. Und ich schreibe nur früh morgens, später am Tag kann ich das nicht. Also stehe ich um 6 auf, sitze um 6.30 Uhr am Schreibtisch – so mache ich das seit Jahren – und schreibe fünf oder sechs Stunden lang. Danach beginne ich meine Tätigkeit als Zahnarzt. Meine Praxis befindet sich in meinem Haus, ich muss nur runtergehen, um meine Patienten zu empfangen. Für einen Schriftsteller ist es sehr gut, jeden Tag Kontakte mit Menschen zu pflegen.
Sind Sie heute noch politisch aktiv?
Al-Aswani: In Ägypten gibt es keine Politik, weil es keine Demokratie gibt. Es handelt sich also nicht um politischen Aktivismus, sondern um einen Kampf für die Demokratie. Deshalb fühlt sich jeder Autor, nicht nur ich, dazu verpflichtet, an diesem Kampf teilzunehmen. Im Grunde ist Schreiben eine Verteidigung von Menschenrechten auf künstlerischer Ebene. Man schreibt, um die Freiheit zu verteidigen, um die Menschenrechte zu verteidigen. Jeder hat die Aufgabe, sich am Kampf für die Demokratie zu beteiligen.
Ich glaube, das Schreiben an sich ist schon ein Engagement. Ich schreibe, weil ich mit etwas nicht einverstanden bin. Ich schreibe, weil ich wütend bin. Ich schreibe, weil die Diskrepanz zwischen dem, was passiert, und dem, was passieren sollte, riesengroß ist. Ich schreibe, um die Freiheit zu verteidigen, um die Demokratie zu verteidigen, um die Würde der Hilfsbedürftigen zu verteidigen. Ich schreibe, um gegen den Diktator zu kämpfen. Genau deshalb schreibe ich.
Woran arbeiten Sie zur Zeit?
Al-Aswani: Ich arbeite an einem neuen Roman, den ich Anfang nächsten Jahres hoffentlich fertig gestellt habe. Mit diesem Roman bin ich inzwischen seit drei Jahren beschäftigt. Ich benötige immer drei bis vier Jahre, um einen Roman zu Ende zu schreiben – da steckt sehr viel Arbeit drin, sehr viel Recherche.
Hat der Roman schon einen Titel?
Al-Aswani: Ja: “The Republic As If.” (‘Die Republik als ob’ – vorläufige Übersetzung der Redaktion). Die Idee dahinter ist, dass die einzige Wahrheit, die es in einer Diktatur gibt, der Diktator ist. Alles scheint zwar real zu sein, aber es ist nur ein Trugbild.