Die Journalistin Maja Amir kehrt nach zehn Jahren in ihre Heimat zurück, um einen Dokumentarfilm über den Bürgerkrieg zu drehen. Doch dann findet sie einen Koffer voller Briefe einer Exil-Syrerin und wird so mit der Geschichte ihres Landes konfrontiert.
“Ein kleines Paradies”, so nannte der britische Journalist Robert Fisk vor kurzem den Libanon. Wann immer er aus der West Bank oder Syrien nach Beirut zurückkehre, leuchte die Stadt, unbehelligt vom Chaos in Nahost.
Dass es unter der scheinbar idyllischen Oberfläche immer noch gärt, davon erzählt auch “Fünfzig Gramm Paradies”. In ihrem neuen Roman beschreibt die libanesische Schriftstellerin Iman Humaidan das Nachwirken des Bürgerkrieges, der das Land zwischen 1975 und 1990 verheerte.
Die Handlung setzt 1994 ein. Zehn Jahre, nachdem sie Beirut verlassen hat, kehrt Maja Amir in die Heimat zurück. Die Journalistin will eigentlich einen Dokumentarfilm über den Wiederaufbau des Beiruter Zentrums drehen. Verstrickt sich während der Dreharbeiten aber in die Geschichten von Menschen, die sie dort trifft.
Humaidan, Jahrgang 1956, variiert dabei ein zentrales Motiv, das sie schon in drei anderen, ebenfalls “Roman aus dem Libanon” untertitelten Bänden erprobt hat. Der ausgeblichene Lederkoffer mit Briefen, die sie in einem zerstörten Haus findet, steht für eine Vergangenheit, die nicht vergangen ist, an die sich aber keiner erinnern will: “Beirut ist nur noch eine gigantische Werkstatt”, denkt Maja oft, “da wird rekonstruiert und zur selben Zeit platt gemacht”.
Geschichte der Frauen erzählt die Geschichte des Landes
Die Lektüre der Korrespondenz zwischen einer Nura und Kemal, ihrem Geliebten aus Istanbul, aus der Mitte der Siebziger-Jahre, nimmt die Journalistin so gefangen, dass sie deren Geschichte aufzurollen beginnt. Humaidan erzählt die Geschichte ihres Landes über die Geschichte der beiden Frauen. Wie keine anderen sind sie die Leidtragenden von Gewalt und Hass.
Zugleich sind sie Prototypen: Maja, die in Paris studierte, ist die gebildete Heimkehrerin in die Heimat. Kurz vor der Rückkehr starb ihr Mann. Ihre Reise dient auch ihrer eigenen Selbstvergewisserung.
Und auch Nura war Journalistin. Um “frei und ohne Zensur schreiben zu können”, zog sie aus Syrien nach Beirut. Im Bürgerkrieg wurde sie ermordet. Sabah, ihre Nachbarin in einem Haus im umkämpften Stadtzentrum, ist die im Libanon gestrandete Emigrantin aus der Türkei. Als Maja die alte Frau aufspürt, lüftet die ein Geheimnis. Was alle drei Frauen eint, ist der Umgang mit Trennung und Verlust.
Psychogramm vom Leben in Beirut nach dem Krieg
Humaidan lässt ihre Protagonistinnen oft reichlich sentimental agieren. Dennoch zeichnet sie ein aufschlussreiches Psychogramm vom Leben in Beirut nach dem Krieg. Und so geschickt, wie sie Erzählerstimme, Tagebuchnotizen oder die inneren Monologe der drei Frauen verknüpft, gelingt ihr ein überzeugendes Bild dafür, wie die Schicksale der Menschen, wie Gegenwart und Vergangenheit in der Region unauflöslich verknüpft sind.
Das Paradies, das im Titel aufscheint, muss man als relativ verstehen. Die Welt ohne Krieg und Gewalt, die Welt von Vielfalt und Zivilität, die die Figuren beschwören, existiert nicht. Im Libanon ist man schon froh, wenn die Waffen schweigen.