Zwei Millionen Flüchtlinge
Doch der Schein trügt. Die Millionenstadt an der Levanteküste steht wie das gesamte Land vor dem Kollaps. Dort, wo kaum ein Licht hinfällt, herrschen Not und Verzweiflung vor. Hinter dem Glitzervorhang geht es vielerorts um das nackte Überleben. 4,5 Millionen Einwohner hatte der ohnehin schon dichtbesiedelte und von 15 Jahren Bürgerkrieg gebeutelte Libanon. Seit dem Ausbruch des Krieges in Syrien sind offiziell eine Million Flüchtlinge hinzugekommen. Die tatsächliche Zahl wird auf zwei Millionen geschätzt.
Nur wenige Kilometer vom Krieg in der syrischen Heimat entfernt leben rund 1,2 Millionen Flüchtlinge in den libanesischen Bergen. Einfache Planen und Decken sollen das Überleben im Winter sichern.
foto: land oö/ grilnberger
Pater Paul Karam hat auf dem Lederstuhl im Provinzhaus des Lazaristenordens im christlichen Viertel Achrafieh Platz genommen. Karam ist Präsident der Caritas Libanon – und ein Ordensmann der klaren Worte. Der Libanon habe in den vergangenen Jahren “Erstaunliches geleistet”, doch sei das Land mittlerweile überfordert.
“Die Opferbereitschaft der Libanesen war seit Ausbruch des Syrien-Krieges beispiellos. Doch zwei Millionen Flüchtlinge – das hält kein Land auf Dauer aus”, schildert Pater Paul anlässlich eines Besuchs der Integrationslandesräte Rudi Anschober (Oberösterreich), Christine Baur (Tirol) und Martina Berthold (Salzburg) die aktuelle Situation im einstigen “Paris des Nahen Ostens”. Die In frastruktur drohe unter der Last der Flüchtlinge zusammenzubrechen. “Der Strom fällt oft aus, das Trinkwasser wird knapp, der Müll stapelt sich auf der Straße. Die Arbeitslosigkeit ist enorm gestiegen, und die Mietpreise haben sich seit Beginn der Syrien-Krise vervierfacht”, erzählt der Ordensmann.
All dies führe zu sozialen Spannungen: “Wenn Libanesen entlassen werden und syrische Flüchtlinge, die illegal im Land leben und nur schwarzarbeiten können, genommen werden, steigt die Wut in der Bevölkerung.”
Anschober fordert angesichts der Lage ein “lästiges Europa”. Es brauche den Druck am Verhandlungstisch: “Europa hat schon einmal die dramatische Situation in Syrien verschlafen und ist erst mit dem Beginn der Flüchtlingswelle aufgewacht. Jetzt darf man nicht ein zweites Mal die Handlungsnotwendigkeit übersehen.” Und es brauche mehr finanzielle Mittel: “Wir haben im heurigen Jahr 53 Prozent der Finanzmittel, die in der Krisenregion nötig wären. Es fehlt die Hälfte, so kann es nicht weitergehen.”
Täglicher Überlebenskampf
Gut eineinhalb Stunden dauert die Fahrt auf der Hauptstraße nach Damaskus, dann erreicht man den eigentlichen Brennpunkt der Flüchtlingskrise. Die Bekaa-Ebene ist eine Hochebene, die sich zwischen den Gebirgszügen des Libanongebirges und dem Anti-Libanon erstreckt. 80 Prozent der syrischen Flüchtlinge im Land leben hier: – nahe der syrischen Grenze in riesigen Zeltstädten unter teilweise unvorstellbaren Bedingungen. Wer ein wenig Geld hat, betoniert zumindest den Boden im Zelt. Der überwiegende Teil schützt sich mit Teppichen vor dem feuchten Lehm. Noch sind die Temperaturen im zarten Plusbereich. Doch das ändert sich meist rasch. Und jeder einzelne Schneesturm wird hier zum Überlebenskampf.
Ahmad Howach Moubarak, der mit seiner Frau und elf Kindern seit vier Jahren in seiner kleinen Behausung aus Planen lebt, hat den Benzinofen angezündet und Tee vorbereitet. Umgerechnet 230 Euro zahlt der Syrer monatlich für Miete, Strom und Wasser. Geld, das die gesamte Familie mühsam im Sommer auf den umliegenden Feldern verdienen muss.
Nie habe er daran gedacht, weiterzuziehen: “Syrien ist meine Heimat. Und ich warte hier im Grenzland, bis der Krieg vorbei ist. Bald, hab’ ich gehört.” Es ist eine der vermeintlichen Frohbotschaften, die so oft über eine der vielen Satellitenschüsseln die Zeltstadt erreichen. Ein Hoffnungsschimmer, der meist ebenso rasch der Ernüchterung weicht. (Markus Rohrhofer;