Regierung und Öffentlichkeit in der Türkei empört über Völkermord-Resolution
Ankara/Athen – Die Stimme des Volkes hat sich sogleich erhoben, die twitternden Türken legten am Donnerstag nur Minuten nach dem Votum im Deutschen Bundestag los. “Die Kinder Hitlers, der bis zum Hals im Blut stand, stimmten im Parlament für den Völkermord. Wir erkennen es nicht an”, lautete eine der harmloseren Botschaften auf der Kurznachrichtenplattform. “Lass’ die Armenier, schau’ nach Solingen”, hieß einer der meistbenutzten Leitbegriffe auf Twitter in der Türkei.
In Solingen, im deutschen Bundesland Nordrhein-Westfalen, waren 1993 bei einem Brandanschlag auf ein Wohnhaus fünf junge Türken ums Leben gekommen und 17 weitere schwer verletzt worden. Doppelte Moral wirft ein Großteil der türkischen Öffentlichkeit den deutschen Politikern vor, die nun die Massaker an den Armeniern im Osmanischen Reich als Völkermord anerkannten. Die Türkei lehnt das ab.
Botschafter zurückberufen
Staatschef Tayyip Erdogan drohte Deutschland während einer Afrikareise. Ernste Folgen werde das Votum des Deutschen Bundestags haben, polterte Erdogan bei einer Pressekonferenz in Nairobi. Er habe mit seinem Premier gesprochen, der türkische Botschafter in Berlin werde zurückberufen, über weitere Schritte werde beraten.
Mit welchen “Strafen” die Türkei die Deutschen belegen will, war am Donnerstag noch nicht klar. Deutschland ist der mit Abstand wichtigste Wirtschaftspartner der Türkei; rund 3,5 Millionen türkischstämmige Bürger leben zudem im Land. Dass Ankara das Flüchtlingsabkommen scheitern lässt, schlossen politische Beobachter in der Türkei nicht mehr aus. Der neue Premier Binali Yildirim bekräftigte gleichwohl, die Türkei werde ihren Teil der Verpflichtungen erfüllen.
Yildirim hatte die Abstimmung über die Genozid-Resolution auch einen “Freundschaftstest” mit den Deutschen genannt. Entsprechend empört reagierte die türkische Regierung am Donnerstag. “Null und nichtig” sei das Votum des deutschen Parlaments, erklärte Regierungssprecher Numan Kurtulmus. Die rechtsgerichtete MHP, aber auch die sozialdemokratische Opposition schlossen sich der Kritik an – nicht so die prokurdische HDP. Eine der bevorzugten Verschwörungstheorien zur Erklärung des Völkermord-Votums lautet: Deutschland gehe es darum, die PKK zu schützen; weil es Berlin bisher nicht gelang, das türkische Antiterrorgesetz aufzuweichen, wollte es die Türken nun mit der Völkermord-Resolution beschuldigen.