Die EU will mit einer neuen Strategie gegen die Flüchtlingskrise vorgehen
Wie der heute in Straßburg vorgestellte Migrationspakt funktioniert, erklären wir hier
In der Flüchtlingskrise will die EU den Druck auf die Herkunftsländer der Asylsuchenden erhöhen. Brüssel schlägt Partnerschaften mit Herkunfts- und Transitstaaten von Migranten vor. Ländern, die dabei mitmachen, sollen Vorteile winken – der Rest muss mit “negativen Konsequenzen“ rechnen.
Um diese Pläne, die dem Vorbild des Flüchtlingsabkommens mit der Türkei folgen, Realität werden zu lassen, hat die EU-Kommission einen so genannten Migrationspakt entworfen. Dieser wurde am Dienstag in Straßburg vorgestellt.
Entwicklungshilfe an Kooperation knüpfen
EU-Flüchtlingskommissar Dimitris Avramopoulos erklärte, Ziel des Paktes sei der “Rückgang der irregulären Migration nach Europa.” Dabei gehe es um die Staaten Jordanien, Libanon, Tunesien, Niger, Mali, Äthiopien, Senegal, Nigeria und Libyen.
In dem Papier heißt es: Die Beziehungen eines Landes zur EU sollen geleitet werden “von der Fähigkeit und dem Willen des Landes, bei der Migrationssteuerung zu kooperieren”.
Bedeutet: Länder, die eigene Staatsbürger aus der EU zurücknehmen oder Flüchtlinge aufnehmen, können eher auf europäische Entwicklungshilfe und vorteilhafte Handelsbeziehungen hoffen als jene, die dies nicht tun.
Pakt ist wie die Pistole an der Brust
Das klingt nach Pistole auf die Brust: “Es muss Konsequenzen geben für jene, die sich weigern, bei der Wiederaufnahme und Rückführung zu kooperieren”, schreibt die EU-Kommission.
Etwa acht Milliarden Euro will die EU-Kommission bis 2020 von den EU-Staaten sowie aus bestehenden Töpfen für Migrationspartnerschaften abzweigen.
Im Herbst will die Brüsseler Behörde einen Investitionsplan vorstellen. Wenn sich die EU-Staaten und andere beteiligen, könnten am Ende zum Beispiel über Garantien Investitionen von bis zu 62 Milliarden Euro mobilisiert werden, hofft die Behörde.
Das Geld soll etwa in die Verbesserung der Lebensbedingungen vor Ort fließen, damit weniger Migranten ihre Heimatregion verlassen.
Manche Staaten könnten entschieden von den Zahlungen profitieren
Besonders für Jordanien und den Libanon, die direkt an Syrien grenzen und Millionen Flüchtlinge aus dem Kriegsland aufnehmen, können jedoch – gerade finanziell – von dem neuen Pakt profitieren. “Wir wollen mit jedem dieser neun Staaten verschiedene Vereinbarungen treffen“, sagt Avramopoulos in der “Welt“.
Bisher läuft die Zusammenarbeit mit Drittländern nur schleppend. Insbesondere bei Rückführung und der Wiederaufnahme von Migranten habe es keine echte Verbesserung gegeben, beklagt die EU-Kommission. “Die Nachricht, dass Migrationsfragen jetzt oben auf der Prioritätenliste der EU-Außenbeziehungen stehen“ sei von Partnerländern noch nicht recht gewürdigt worden.
Probleme mit Maghreb-Staaten
Die nordafrikanischen Maghreb-Staaten weigern sich oft, Migranten zurückzunehmen, weil Dokumente fehlen oder sie die Staatsbürgerschaft als unklar einstufen. Und im krisengeschüttelten Mali fehlt es etwa an Strukturen zur Wiederaufnahme und Eingliederung von Rückkehrern.
Die EU-Kommission weiß dass und will deshalb die Bedingungen in solchen Ländern verbessern. Wenn nötig, eben auch unter Androhung von Sanktionen.
Kritik am neuen Modell: “Festung Europa wird gestärkt”
Schnell wurden kritische Stimmen gegen die neuen Bemühungen der EU laut: Judith Sargentini, Euro-Parlamentarierin der niederländischen Grünen, attackierte die EU-Kommission scharf: “Sie brechen mit den Grundsätzen von Entwicklung, bei denen es darum geht, Armut zu bekämpfen. Sie nutzen dieses Geld, um die Festung Europa zu stärken“, zitiert die Zeitung “Wall Street Journal“.
Auch die Nichtregierungsorganisation Human Rights Watch äußerte Bedenken.
Menschenrechtsanwalt Gerry Simpson kritisierte, die Gelder könnten Sicherheitskräften zukommen, die missbräuchlicherweise Flüchtlinge festnähmen und zurück in Krisengebiete abschöben.