Zusammenspiel der Kulturen
Die palästinensisch-britische Sängerin, Musikwissenschaftlerin und Rundfunkmoderatorin Reem Kelani hat sich seit Anfang der 1990er Jahre eine ganz eigene Nische in der arabischen und internationalen Musikszene geschaffen. Ihr neues Album bestätigt erneut ihr besonderes Talent. Von Susannah Tarbush
Die beiden CDs des Albums wurden auf einem Konzert aufgenommen, das Kelani im Tabernacle, einer Veranstaltungshalle in Notting Hill, Westlondon, im November 2012 auf dem “Nour Festival” gab, welches der Stadtbezirk “Royal Borough of Kensington and Chelsea” (RBKC) Jahr für Jahr veranstaltet. Alan Kirwan, Kurator des Nour Festivals 2012, schreibt im Booklet des Albums, im Herzen von Kelanis Arbeiten “befindet sich das wiederkehrende Bild Palästinas. Ihre Stimme ist für den Zuhörer eine eindrucksvolle Abenteuerreise durch die Klänge dieses Landes – von längst vergangenen Tagen bis heute.”
Ihr Auftritt im Tabernacle “nimmt das Publikum mit auf eine Reise durch den Nahen Osten. Vom Genius des ägyptischen Komponisten Sayyid Darwish bis zu den musikalischen Juwelen aus Tunesien, der Türkei, Syrien und Palästina. Falls es eines Beispiels bedurfte, dann zeigt Reem Kelani, wie sich kulturelle Brücken zwischen Ost und West bauen lassen.”
Kelani wurde in der nordenglischen Stadt Manchester geboren und wuchs in Kuwait auf. Ihr Vater war ein jazzbegeisterter Arzt. Im multikulturellen Kuwait lernte sie diverse musikalische Strömungen kennen. Schon früh erwies sie sich als talentierte Sängerin. Dennoch machte sie die Musik zunächst nicht zu ihrem Beruf, sondern entschied sich für ein Studium der Meeresbiologie in Großbritannien.
Kulturelle Brücken bauen
Im Laufe der Jahre hat Kelani vielen nicht-arabischen Musikern die arabische Musik nahegebracht. Drei davon traten mit ihr gemeinsam im Tabernacle auf: der britisch-amerikanische Jazzpianist Bruno Heinen, der britische Bassist Ryan Trebilcock und der italienische Schlagzeuger Antonio Fusco. Der virtuose palästinensische Lautenspieler Tamer Abu Ghazaleh kam als Gast aus Ägypten dazu. Zwischen der unverwechselbaren, vielseitigen Stimme von Kelani und den vier Musikern entwickelte sich eine wunderbare Synergie.
Am 12. Oktober wird Reem Kelani erneut im Tabernacle auftreten, und zwar im Rahmen eines Sonderkonzerts zum Auftakt des diesjährigen “Nour Festivals” vom 21. Oktober bis 6. November. Das Konzert “ist eine Feier der Musik von Reem und eine Anerkennung ihrer musikalischen Leistungen – international wie auch lokal im Stadtbezirk Royal Borough of Kensington and Chelsea.”
“Live at the Tabernacle” ist Kelanis zweites Album. Das erste, “Sprinting Gazelle: Palestinian Songs from the Motherland and the Diaspora”, erschien 2006 und wurde vom Publikum begeistert aufgenommen. Beide Alben erschienen bei Fuse Records, einem Label des britischen Singer-Songwriters und Aktivisten Leon Rosselson.
Beide Alben ergänzen einander gut. Während “Sprinting Gazelle” ein Studioalbum ist, macht das zweite Album das Charisma eines Live-Auftritts von Kelani greifbar, ebenso wie ihre Energie und ihre Verbindung zum Publikum.
Kelani ist eine konsequent unabhängige Musikerin. Sie bindet sich an kein Label und lässt sich auch nicht durch eine PR-Agentur vertreten. Zur Finanzierung von “Live at the Tabernacle” riefen sie und ihr Mann und Manager Christopher Somes-Charlton eine Crowdfunding-Kampagne ins Leben. In Rekordzeit konnten 148 Geldgeber gewonnen werden.
“Wesentlicher Bestandteil der Aufführung”
“In einer Zeit, in der Musik den Gesetzen des Marktes folgt und politische Narrative unterdrückt werden, gibt es wohl kaum eine größere Befriedigung und Bestätigung als die Unterstützung durch die Basis, denn diese kann weder erkauft noch verkauft werden”, sagt Kelani über ihre Kampagne.
Zum Album “Live at the Tabernacle” gehört ein 60 Seiten starkes Booklet mit Informationen zu jedem Song sowie den Texten auf Arabisch und in der von Kelani angefertigten englischen Übersetzung. Auch zwei kurze Videos sind zu sehen. Im ersten beschreibt Kelani den Auftritt als eines ihrer wichtigsten Konzerte überhaupt: “An diesem Abend entwickelte sich im Publikum eine ganz eigene Dynamik. Jeder Einzelne war wesentlicher Bestandteil der Aufführung. Nicht nur, was die Reaktionen angeht, sondern auch das Mitsingen, Klatschen, das Stillsein, Lachen, Schreien und Tanzen.”
Kelani hofft, mit ihrem Album “diejenigen erreichen zu können, die nicht dabei sein konnten. Damit meine ich nicht nur die Energie und Musik, sondern insbesondere auch die Erzählung hinter dem Konzert und das, wofür meine Musik im Allgemeinen steht.”
Das zweite Video auf dem Album steuerte der französische Filmregisseur Axel Salvatori-Sinz aus seinem mehrfach ausgezeichneten Film “Les Chebabs de Yarmouk” (“Die Shebabs von Yarmouk”) bei. Unterlegt ist die Live-Aufnahme von “Yarmouk” (“Huna al-Yarmouk!”), jenem eindringlichen Lied von Kelani.
“Wiederkehrendes Bild von Palästina”
Regisseur Salvatori-Sinz beauftragte Kelani 2012 mit der Komposition der Musik zu seinem Dokumentarfilm über das Leben und die Träume einer Gruppe junger Frauen und Männer im Flüchtlingslager Yarmouk in der syrischen Hauptstadt Damaskus. Kelani wiederum bat den in Yarmouk geborenen und heute im schottischen Glasgow lebenden palästinensischen Dichter Iyad Hayatleh, ein Gedicht zu schreiben, das sie musikalisch umsetzen könne.
Das Album beginnt mit vier Liedern aus Kelanis umfangreichem palästinensischen Repertoire. Den Auftakt macht “Let us in!” (“Hawwilouna”). Zunächst hört man Kelanis rhythmisches Stampfen und Klatschen; erst dann setzt ihr Gesang ein. Es folgt “Galilean Lullaby” (“Tahlileh Jaliliyyeh”). Den Text dazu entnahm Kelani einem Buch über palästinensische Literatur des nazarenischen Dichters Tawfiq Zayyad (1929-94).
Kelani lernte das Lied “Sprinting Gazelle” (“Ah! Ya Reem al-Ghuzlaan”), den Titelsong ihres ersten Albums, von einer alten Frau im palästinensischen Flüchtlingslager Ain al-Hilweh im Libanon. Auf dem Album fordert die Musikerin ihre Kollegen Abu Ghazaleh auf der Laute und Ryan Trebilcock am Bass zu einem Wettstreit mit ihren arabischen und westlichen Instrumenten auf.
“Songs of Parting” (“Furaaqiyaat”) entwickelt sich zu einer Melodie, in der das bekannte türkische Schlaflied “Dandani, Dandani” anklingt. Kelani wird dabei auf der Bühne von zwei Personen aus dem Publikum begleitet: dem türkischen Musikwissenschaftler Cahit Baylav mit seiner Violine und der Kurdin Cihan Ademhan mit ihrem Gesang.
Tribut an Sayed Darwish
Zwei Lieder des Konzerts stammen aus Kelanis langjährigem Projekt über den ägyptischen Komponisten Sayyid Darwish (1892-1923). Die Texte zu beiden verfasste der Autor Badi’ Khayri. “The Porters’ Anthem” (“Lahn el-Shayyaalin”) spielt auf die Revolution im Jahr 1919 gegen die britische Besatzung an. Wie viele Lieder Darwishs, so thematisiert auch dieses die Geknechteten und Marginalisierten.
The Preachers’ Anthem” (“Lahn el-Fuqahaa”) porträtiert zwei Priester am Gedenktag des Waffenstillstands 1918, an dem sie die versprochene Unabhängigkeit Ägyptens vorwegnehmen. Ausgelassen träumen sie von einer Reise nach Europa, wo “die Frauen sich hin- und herwiegen wie Wackelpudding”. Kelanis Arragement des Songs ist ein Parforceritt, der mit Auszügen aus dem britischen Soldatenlied “It’s a Long Way to Tipperary” endet.
Mit ihrer Komposition “1932”, die sie Darwish widmete, verweist Kelani auf das Jahr, in dem der erste Kongress zur arabischen Musik stattfand. Während Heinen und Abu Ghazaleh die meditative, nuancierte Melodie spielen, liest Kelani “The Vinegar Cup” (“Ka’s al-Khall”) des in Gaza geborenen Dichters Mu′in Bseiso.
Das Lied “The Ship Sounded its Horn” (“Babour Zammar”) wurde vom tunesischen Musiker El-Hedi Guella in den 1970er Jahren komponiert. Die Texte stammen von seinem Landsmann El-Mouldi Zleilah. Der Song ist ein Tribut an die Studentenrevolte in Frankreich und erzählt von Migranten, die auf der Suche nach Arbeit ihre Heimat verlassen: “Uprooting young men from fertile lands / To a life so harsh” (Junge Männer entwurzelt aus fruchtbarem Land / zu leben ein Leben so hart.)
Das Konzert endet mit dem palästinensischen Lied “Giving Praise” (Il-Hamdillah). Kelani stößt das laute und fröhliche “Aweeha!” aus, diese so typische Lautmalerei in traditionellen Liedern palästinensischer Frauen.
Am 12. Oktober wird Reem Kelani erneut im Tabernacle auftreten, und zwar auf einem Sonderkonzert im Vorfeld des diesjährigen Nour Festivals, das vom 21. Oktober bis 6. November stattfinden wird. Ein Konzert “zur Feier der Musik von Reem und zur Anerkennung ihrer musikalischen Leistungen – international wie auch lokal im Stadtbezirk Royal Borough of Kensington and Chelsea.”
Susannah Tarbush