Terroristen wollen mit ihren Anschlägen meist offene Gesellschaften zerstören. Inmitten des US-Wahlkampfes ist die Gefahr besonders hoch, dass dem Täter von Orlando genau das gelingt, meint Ines Pohl.
Terroristen verfolgen mit ihren Anschlägen immer mindestens zwei Ziele: Sie wollen ihre Opfer töten. Und sie wollen unsere offenen Gesellschaften zerstören. Deshalb ist der Anschlag auf den Nachtclub in Orlando mit mindestens 50 Toten nicht nur eine fürchterliche Tragödie, sondern auch eine ausgesprochen gefährliche.
Das Attentat trifft ein Amerika, das sich inmitten einer Zerreißprobe befindet. Ein Amerika, das erst am Anfang einer Schlacht steht, bei der es um weit mehr geht als die Frage, wer als nächster Präsident ins Weiße Haus zieht.
Es geht um die fundamentale Entscheidung, in welche Richtung sich das mächtige Land entwickelt. Ob der progressive Kurs, den Präsident Obama in den vergangenen Jahren eingeschlagen hat, fortgeführt wird, oder seine Errungenschaften zurückgenommen werden.
Neubesetzung des Höchsten Gerichtes
In den Vereinigten Staaten ist die Macht des Präsidenten beschränkt. Das hat Obama oft schmerzlich zu spüren bekommen: Ob bei seinen Plänen zur Gesundheitsreform oder bei seinem Vorhaben, Guantanamo zu schließen. In einem Zwei-Parteien-System, das zunehmend nicht auf Kompromiss, sondern auf Konfrontation ausgerichtet ist, braucht ein Präsident deshalb immer die Unterstützung des höchsten Gerichtes. Und genau dieser Supreme Court ist einer der Hauptgründe, warum dieser Wahlkampf so wichtig und auch so aufgeladen ist. Der Einfluss der Richter auf die Gestaltung des Landes ist immens. Sie sind es am Ende, die entscheiden können, ob Schwule und Lesben heiraten oder welche Toilette Transgender benutzen dürfen.
Da diese Richter auf Lebenszeit berufen werden, reichen ihre Mandate weit über eine Präsidentschaft hinaus. Aktuell ist einer dieser Richterstühle vakant und angesichts des vorangeschrittenen Alters weiterer Amtsträger ist es gut möglich, dass der nächste Präsident mindestens zwei weitere Richter ernennen wird.
Terror instrumentalisieren
Der furchtbare Anschlag von Orlando kommt genau zum Beginn der heißen Phase des Wahlkampfes. Schon kurz nach der Tragödie zeigten Trump-Unterstützer, wie sie diesen Terrorakt instrumentalisieren wollen: Über Twitter gratulierten sie Trump – mit Blick auf die mutmaßliche Religion des Täters – zu seinem Anti-Islamkurs. Auch Hillary Clintons Solidarität und Verbundenheit mit Muslimen werden sie gegen sie verwenden. Sie werden mit den Ängsten der Menschen spielen, um ihren Kandidaten in Stellung zu bringen. Denn gerade in diesem Jahr scheinen viele Amerikaner sehr anfällig für diese Art des Populismus zu sein. Sie sind allzu bereit, sich von plumpen Heilsversprechungen verführen zu lassen, ohne zu reflektieren, wie eine Gesellschaft aussehen könnte, die sich vor allem durch Abschottung und Überwachung definiert.
Wenn Donald Trump davon spricht, dass er Amerika wieder zu seinem alten Glanz verhelfen will, hat er vor allem ein Land vor Augen, in dem der starke Mann ohne Migrationshintergrund regiert. Das ist die Basis seiner Pläne: ein Einreiseverbot für Muslime, Verdächtigungen gegen Richter mexikanischer Herkunft und sexistische Äußerungen gegenüber Frauen.
Begabter Demagoge
Das furchtbare Blutbad von Florida wird der begabte Demagoge somit bestens für sich zu nutzen wissen. Terroranschläge stellen jede offene Gesellschaft vor eine große Herausforderung. Sie werfen die komplizierte Frage auf, wie viel uns unsere Freiheit wert ist. Und wie viele Risiken wir für unsere offenen Gesellschaften bereit sind einzugehen.
Angesichts der Gefühle von Hass und Rache, die Terror auslöst, ist es schwierig für Politiker und die Bevölkerung ruhig und besonnen zu reagieren. Frankreichs Präsident François Hollande ist das nach den Anschlägen in Paris gelungen: Er hat sein Volk gut geführt.
Aber in den Vereinigten Staaten tobt ein Wahlkampf, wie ihn die Welt noch nicht gesehen hat. Schafft es das Amerika des Jahres 2016, nicht in die Falle der Terroristen zu tappen und sich letztlich genau in die Unfreiheit zu flüchten, die den fundamentalistischen Muslimen vorschwebt? Oder gelingt es ihnen, den American Dream zu verteidigen, der ja nahezu auf einer offenen Einwanderungsgesellschaft erbaut ist? Die Chancen stehen gut, dass die blinde Wut siegt.