Vor zehn Jahren haben die Ickinger Laienspieler das Stück “Verbrennungen” abgelehnt: “Unzumutbar”, lautete ihr Urteil. Nun bringen sie es ins Theaterzelt. Stefan Mayer-Voigt sagt, warum
Ein blaues Theaterzelt, 19 ambitionierte Schauspieler und ein Regisseur, dessen Maxime lautet: “Mehr reden, weniger schwätzen” – die Laienbühne Icking fällt seit mehr als 20 Jahren stilvoll aus dem Rahmen. Nach einer einjährigen Pause hat der Gründer und Motor der Truppe, der Ickinger Mediziner Stefan Mayer-Voigt, wieder ein Stück auf die Beine gestellt, das reichlich Gesprächsstoff birgt: “Verbrennungen” von Wajdi Mouawad.
Die Flüchtlingskrise ist seit dem vergangenen Jahr auch in Icking angekommen. Haben Sie “Verbrennungen” deshalb ausgewählt?
Stefan Mayer-Voigt: Ich habe das Stück schon vor zehn Jahren entdeckt und war begeistert. Aber die Gruppe hat es damals abgelehnt: Es sei viel zu hart, unzumutbar. Ein Mitglied drohte damit auszusteigen, wenn wir es spielen würden.
Und nun geht es – warum?
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Mittlerweile sind wir alle unmittelbar mit dem Schicksal von Flüchtlingen in Berührung gekommen. Und wir haben uns an die Bilder gewöhnt: Das Grauen, das man vor zehn Jahren meinte, dem Publikum nicht zumuten zu können, haben wir via Nachrichten jeden Abend im Wohnzimmer. Das bedeutet nicht, dass wir das Katastrophenszenario überwunden hätten, aber wir fangen an, hindurch zu sehen, hinter den Bildern etwas zu suchen. Alle in unserer Gruppe sind Feuer und Flamme. Das Stück ist sprachlich so schön und inhaltlich wichtig.
Die Geschichte beginnt damit, dass eine im Exil lebende Mutter, Naval, ihren Kindern ein Testament hinterlässt: Die Zwillinge sollen im Libanon ihren Bruder und ihren Vater finden und jedem einen Brief übergeben. Das könnte der Einstieg zu einem Krimi sein.
Die Geschichte wird in Rückblicken erzählt und ist furchtbar spannend. Man könnte sagen: Es ist die Suche nach der nackten Wahrheit. Die Stimmung bei den Proben war anfangs sehr bedrückt. Wir mussten immer wieder abbrechen und über die Inhalte, aber auch über unsere Gefühle sprechen. Bei solchen Proben ist immer ein Stück Psychologie dabei. Gut getan hat uns unsere traditionelle Woche in Italien – die war zugleich auch sehr lustig.
Drei Frauen spielen Naval in verschiedenen Lebensaltern. Welche Herausforderungen stellt das an die Regie?
Die Schwierigkeit besteht darin, eine Figur an die andere anknüpfen zu lassen. Mit Kostümen und Sprache kann man schon einiges machen. Aber man muss zum Beispiel die eine etwas härter werden lassen und die andere weicher darstellen. Die erste Naval ist eine verliebte Jugendliche, die ihr Kind verliert. Die zweite ist eine Kämpferin, die richtig Gas gibt. Die dritte, die alte Naval, schweigt. Und trotzdem muss man eine gewisse Kontinuität herstellen.
Sie hat viele Schattierungen, sie ist liebesfähig, vielleicht am Anfang ein bisschen naiv. Entscheidend ist der Moment, als eine andere Frau ihr klarmacht: Du musst lesen, du musst schreiben und du musst sprechen lernen! Sprache ist deine Waffe. Nicht Taten sind entscheidend in unserem Leben, sondern Worte.
Navals Geschichte ist haarsträubend. Worin liegt der Trost?
Am Ende ihres Lebens ist sie abgeklärt. Sie hat schlimme Dinge erlebt, sie hat Widerstand geleistet durch Worte und Schweigen. Sie hat sich nicht das Leben genommen, sondern hat als alte Frau ihre Geschichte so weit verarbeitet, dass ihr Leben Tiefe bekommt. Sie schafft es, ihr Schicksal für sich rund zu machen.
Ist das realistisch?
Ich habe beruflich viele Flüchtlinge betreut. Sie leben weiter, sie leben auf. Viele können wieder lachen, auch wenn sie noch traumatisiert sind. Und sie sind Teil unseres Lebens geworden – ein Teil, über den man reden und spielen kann. Drei junge Syrer werden bei unseren Vorstellungen die Musik machen, die sind super! Ich habe sie gefragt, ob sie ein paar Lieder spielen könnten, lebensfrohe und eher melancholische, und sie haben begeistert geantwortet: Ja, das können wir – vor allem traurige!