Libanon fordert Anerkennung seiner Neutralität

Anerkennung der Neutralität des Landes zu erreichen

(Beirut) Der Libanon fordert, daß die internationale Staatengemeinschaft die Neutralität des Landes in den Nahost-Konflikten anerkennt. Die Christen des Zedernlandes spielen dabei auf internationaler Ebene eine zentrale Rolle. Der Libanon ist das Land mit dem höchsten Christenanteil des Nahen Ostens und galt bis in frühen 70er Jahre als Schweiz des Orients. Das innere Gleichgewicht zwischen den verschiedenen ethnisch-religiösen Gruppen ist für den Fortbestand des Landes entscheidend. Die Neutralität soll den Libanon auch vor Hegemonialbestrebungen anderen Staaten schützen. Jüngst erhöhte Saudi-Arabien den Druck auf das Land, um es seiner Einflußsphäre zu unterwerfen. Im Zusammenhang mit dem inneren Ausgleich forderten gestern die Christen der Syrisch-Orthodoxen Kirche und der Syrisch-Katholischen Kirche in einer gemeinsamen Erklärung je einen Sitz im libanesischen Parlament. Der Parlamentssitz soll die Anerkennung und die Vertretung der beiden christlichen Gemeinschaften sicherstellen.

Syrische Christen wollen im Parlament vertreten sein

Am Dienstag unterzeichneten die Patriarchen der beiden syrischen Kirchen des Antiochenischen Ritus in Beirut eine gemeinsame Erklärung. Ignatius Joseph III. Younan ist Patriarch der mit Rom unierten syrisch-katholischen Kirche von Antiochien. Ignatius Ephräm II. Karim  ist Patriarch von Antiochien und dem ganzen Orient der syrisch-orthodoxen Kirche.

Beide Kirchen gehören derselben syrischen Tradition des Antiochenischen Ritus an. Der 1781 in die Einheit mit Rom zurückgekehrte Teil der syrisch-orthodoxen Kirche, der sich als syrisch-katholische Kirche konstituierte, zählt weltweit rund 300.000 Gläubige, die syrisch-orthodoxe Kirche rund drei Millionen Gläubige. Im Libanon sind beide Gemeinschaften ungefähr gleich groß und gehören zu den kleinen Gemeinschaften.

Die Unterzeichnung der Erklärung erfolgte am Sitz des syrisch-katholischen Patriarchen in Anwesenheit verschiedener kirchlicher und politischer Vertreter. Die beiden Patriarchen forderten auch eine stärkere Berücksichtigung der syrischen-antiochenischen Christen im öffentlichen Dienst und eine Ende von jeder Form „der offenen oder versteckten Diskriminierung“.

Bereits im vergangenen Januar hatten die beiden Patriarchen entsprechende Vorgespräche mit Staatsvertretern geführt.

Höchstes Staatsamt für Christen seit 2014 unbesetzt

Das parlamentarische Quotensystem gilt in mehreren, moslemisch dominierten Staaten des Nahen Ostens, so im Irak und in Ägypten. In Libanon ist es aufgrund der besonderen Gemengelage unterschiedlicher ethnisch-religiöser Gruppen besonders ausgeprägt. Der Staatspräsident ist laut Verfassung immer ein Christ. Seit 1943 ist das Amt einem maronitischen Christen vorbehalten.

Allerdings ist das Amt seit 2014 vakant als die Amtsperiode von Michel Sulaiman, der seit 2008 Staatsoberhaupt im Land der Zedern war, zu Ende ging. Die verschiedenen christlichen Parteiführer konnten sich bisher nicht auf einen Konsenskandidaten verständigen.

Neutralität für den Libanon entscheidend

Gestern hatte ein anderer Patriarch, Béchara Pierre Kardinal Raï, in Paris die internationale Staatengemeinschaft aufgefordert, die Neutralität des Libanon im Syrien-Konflikt und insgesamt in den Nahost-Konflikten anzuerkennen. Kardinal Raï ist als Maronitischer Patriarch von Antiochien und des ganzen Orients das Oberhaupt der größten christlichen Kirche des Libanons. Seine Stimme hat großes Gewicht im Land.

Der Libanon trägt seit Jahrzehnten durch die große Zahl von Flüchtlingen aus anderen Staaten des Nahen Ostens, in dem es Konflikte gibt, eine große Last. Die Flüchtlingsströme veränderten das innere Gleichgewicht und stürzten das Land wegen der vielen Palästinenser in den 70er Jahren in einen Bürgerkrieg und in Konflikte mit Israel.

Das kleine Land mit 4,5 Millionen Einwohnern nahm in den vergangenen Jahren 1,5 Millionen syrischen Flüchtlinge auf. Der Libanon ist daher an einer schnellen und friedlichen Lösung des Syrien-Konfliktes interessiert.

Saudischer Druck

Die Forderung nach Anerkennung der libanesischen „Neutralität“ hängt mit der überlebensnotwendigen Eindämmung der zentrifugalen Kräfte im Land zusammen. Sie steht in direktem Zusammenhang mit dem jüngsten Säbelrasseln Saudi-Arabiens. Das wahabitische Königreich übt Druck auf den Libanon aus, um das Land der saudischen Einflußzone zu unterwerfen und damit dem sunnitischen Kampf gegen die syrischen Alawiten und die Schiiten.

Nur eine Anerkennung der Neutralität des Libanon durch die internationale Staatengemeinschaft könne es, so der Kardinal, verhindern daß das Land in “internationale und regionale Konflikte hineingezogen wird”.

Die Maronitische Kirche trennte sich bereits im 7. Jahrhundert von der syrisch-orthodoxen Kirche. 1182 kehrte sie in die Einheit mit Rom zurück. Die zählt heute weltweit fast 3,5 Millionen Gläubige.

Die Christen des Libanon garantieren den Zusammenhalt des Staates, der ansonsten bereits in den sunnitisch-schiitischen Konflikt hineingezogen worden wäre. Die Christen bemühen sich um Dialog und Toleranz und versuchen die islamischen Gemeinschaft bisher erfolgreich einzubinden.