Es ist wieder Handspielzeit. Diesmal: Sturer Vater verweigert sturer Lehrerin Handschlag. Bilanz: Kind abgemeldet, Lehrerin aufgebracht, Eltern Anzeige erstattet. Interesse am Kindeswohl: Null.
Neulich auf einer Veranstaltung gab es zur Begrüßung mal wieder einen angedeuteten Handkuss. Es ist eine amüsante Geste aus längst vergangener Zeit mit Geschichte. Es folgte ein angedeuteter Knicks samt Lächeln und Augenzwinkern meinerseits. Herr Knigge würde sich freuen. Denn freundlicher und höflicher Umgang scheint vielen heutzutage abhandengekommen zu sein.
Keine religiösen Gründe, sondern persönliche
Dabei gibt es viele Formen der Begrüßung, die im Wandel der Zeit zu neuen Ausdrucksformen gelangen. Oder wiederentdeckt werden. Wie zum Beispiel der angedeutete Handkuss. Der Handkuss als Ehrerbietung ist mir neben Historienfilmen vor allem aus Marokko bekannt. Meinen Großeltern küsste ich die Hand. Männliche Familienmitglieder und Bekannte reichte ich häufig meine Handfläche zum Abschlag und legte sie daraufhin auf Herzhöhe. So die übliche Begrüßung in Marokko.
Manche Frauen küssen sich stattdessen symbolisch nach der Berührung der Hand die Fingerspitzen. Wenn in einem Raum viele weibliche und männliche Gäste saßen, gab es eine große einschließende Kreisbewegung samt Hand auf die Brust beziehungsweise Fingerkuss. Damit konnte Frau auch die vielen Wangenküsse unter den Frauen umgehen. Denn die konnten mitunter einiges an Zeit in Anspruch nehmen.
Landfrauen gaben sich gefühlte 20 Küsse pro Wange. Inklusive Begrüßungsfloskeln, die bei jeder Person neu aufgesagt wurde. Diese diversen Begrüßungszeremonien waren mir von der Stadt genauso bekannt, wie vom Land. Insgesamt war es vielfältiger als das, was mir in Deutschland begegnete. In der Schule begrüßten wir die Lehrerinnen und Lehrer, indem wir wie im Chor eingestimmt uns zur Begrüßung erhoben. Ansonsten gab es für Erwachsene und unter Erwachsenen den üblichen Handschlag.
Ohne sich groß Gedanken darüber zu machen wieso, weshalb, warum.
Das änderte sich, als auf dem Schulhof zur Begrüßung die französische Form Einzug hielt. Angedeutete Wangenküsse rechts und links. Auch dies war mir als die vornehme Begrüßungsvariante unter den Städterinnen in Marokko bekannt. Viele wollten lieber vornehm und distanziert wirken, als herzlich draufzuknutschend. Bei Festlichkeiten war Frau allerdings froh über diese Variante. Keine Lippenstiftabdrücke auf der Wange mehr, die zum Rouge verrieben wurde. In der Schule weigerte ich mich aber auch oft, einige Mitschülerinnen auf so gespielt herzliche Weise zu begrüßen. Ich zog ein gewunkenes Hey vor. Das hatte keine religiösen Gründe, sondern persönliche.
Ungehobeltes Verhalten nicht mit islamischer Kultur zu entschuldigen
Heute, seit in sämtlichen muslimischen Gesellschaften salafistische Praktiken Einzug gehalten haben, wird Persönliches plötzlich religiös begründet. Für alles Mögliche und vor allem unmögliche wird der von Muslimen geliebte Prophet herangezogen, wenn der Koran nichts Passendes zu bieten hat. Der soll Frauen nicht die Hand gegeben haben. Wen wundert es. Auch damals gab es schon eifersüchtige und engstirnige MännerVon Ehemännern, die manchmal kleine Ferkel sind – und es nicht einmal merken, die hinter jeder Berührung mit ihren Töchtern, Schwestern oder Ehefrauen Unzucht witterten, obwohl nicht jeder Mann böse Hintergedanken hat.
Wen wundert es, dass vorsorglich Distanz zum anderen Geschlecht vorgezogen wurde, um seine beziehungsweise ihre Ruhe zu haben. Eine Dauerlösung ist das allerdings nicht. Menschen entwickeln sich weiter. Verschiedene Kulturen und Persönlichkeiten treffen Dank der Vielfalt der Menschen aufeinander. Es gilt also, Kompromisse zu finden. Dies setzt eine Auseinandersetzung mit den Konflikten voraus, dem sich alle Seiten ehrlich und offen ohne Zimperlichkeiten stellen müssen.
Mit religiösen Gründen seine oder ihre Sichtweise als Totschlagargument durchsetzen zu wollen, bringt keine Lösung. Denn Religionen sind selbst in der Auslegung vielfältig. Ohne Verstand, Logik und Respekt für ein Miteinander statt Gegeneinander ist ein Zusammenleben unmöglich.
Ziemlich paternalistisch ist auch die wohlmeinende Haltung mancher Damen und Herren, die ungehobeltes Verhalten als islamische, türkische, arabische oder wie auch immer orientalisch geartete Kultur entschuldigen. Damit es jetzt ein für alle Mal klar ist. Weder im Maghreb, noch im Libanon, in Syrien oder Jordanien ist es kulturell unüblich, sich unter MännernVon Ehemännern, die manchmal kleine Ferkel sind – und es nicht einmal merken und Frauen die Hand zu reichen.
Die aktuelle Praxis, Frauen nicht die Hand zu geben, ist vor allem jenen Denkern des Salafismus und Islamismus zu verdanken, die sich auf uralte islamische Quellen beziehen und diese Praxis aufrecht erhalten wollen, weil sie in der Frau eine Unruhestifterin und Sexualobjekt sehen und somit ihr Denken partout nicht weiterentwickeln wollen.
Wer eine Frau berührt, muss nach mancher Auslegung sogar seine rituelle Waschung für das Gebet wiederholen, da er nicht mehr als rein gilt. Wer eine Frau berührt, könnte auf verdorbene Gedanken kommen und wenn Mann sich auch noch allein mit einer Frau in einem Raum aufhält, ist der Teufel der Dritte im Bunde.
Und der hat ja bekanntlich auch nur Sex im Kopf. Wer also als Muslim behauptet, eine zurückgewiesene weibliche Hand sei eine Geste des Respekts vor Frauen, offenbart leider nur, wie prüde und unreif sein Denken ist.
Respekt, Vielfalt, Menschen- und Frauenrechte
Was die Berliner Lehrerin angeht. Ja, solch ein verweigerndes und trotziges Verhalten ist alles andere als respektvoll. Es ist vor allem pubertär. Solche Männer lernen aber auch durch Beharrung nichts dazu. Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmer mehr. Das beharrende Verhalten der Lehrerin ist in diesem Fall allerdings genauso unreif. Obendrein stellt sich die Frage: Wer will sich als Frau von so jemandem freiwillig noch berühren lassen?
Wer als Pädagoge oder Pädagogin arbeitet, hat es in seinem Berufsleben mit sonderbaren Kindern und noch sonderbareren Eltern zu tun. Eltern, die ihre Kinder verwahrlosen lassen. Eltern, die nicht zu den Sprechtagen erscheinen oder Eltern, die ihre Kinder vor Pornos parken, wie andere vor Winnie Puuh. Und eben auch Eltern, die eine verquere religiöse Sicht auf die Welt haben. Das teilen alle Religionen mit ihren Anhängern.
In der Schule aber, ließe sich fürs Leben lernen. Lernen, wie Vielfalt friedlich und auf Augenhöhe gelebt und ausgehandelt werden kann. Wo Respekt gelehrt wird. Wo Kinder sich Pädagogen öffnen können. Wo Freiheit, Menschenrechte und Frauenrechte vermittelt werden und jeglicher Extremismus thematisiert wird. Und wo zum Wohle des Kindes bei Konflikten mit den Eltern eine Lösung gefunden wird. Der Berliner Schüler ist mit diesen Eltern, der Lehrerin und der Presse aktuell alles andere als zu beneiden und es ist ihm zu wünschen, dass er seinen Weg findet zwischen all den Erwachsenenbesserwissern.
Ich für meinen Teil plädiere für mehr respektvolle und angedeutete Handküsse für Frauen und halte es mit meinen Verwandten, die Allah regelmäßig für gesunden Menschenverstand anbeten, wenn es in der Welt mal wieder zu absurd zugeht. In diesem Sinne: Küss die Hand!