In der türkischen Hauptstadt Ankara sind die Menschen spürbar erleichtert, dass der Putsch gegen die Regierung abgewendet wurde. Doch viele sorgen sich um die Zukunft des Landes.
Weniger als 24 Stunden nach Beginn des Coups steht Ahmet Sentürk, Ingenieur, 30 Jahre alt, auf dem Bahnhofsplatz in der türkischen Hauptstadt Ankara. Er hat ein rotes Band um seinen Kopf gebunden, er hält eine türkische Fahne in der Hand und blickt ungläubig auf die Menschenmenge, die jubelnd an ihm vorbeizieht. Was war das nun?, fragt er sich. Ein böser Traum? Ein bizarrer Scherz?
Am Vorabend waren Panzer durch die Straßen von Ankara gerollt, flogen Kampfjets über die Wohnhäuser hinweg, gingen im Parlament Bomben hoch. Einige Stunden lang sah es so aus, als würde eine Gruppe Soldaten die Macht über die Türkei übernehmen, als müsste Präsident Recep Tayyip Erdogan das Land verlassen.
Doch der Putschversuch gegen Erdogan ist gescheitert. Bereits am Samstagvormittag erlangte die Regierung die Kontrolle zurück. Kurz darauf kehrt in Ankara fast schon wieder so etwas wie Normalität ein.
Am Samstagmittag fließt der Verkehrt in der Hauptstadt weitestgehend ungehindert, Cafés stellen ihre Tische ins Freie. Die Menschen essen Sesamkringel, trinken Tee. Die Geschehnisse der Nacht zuvor bestimmen die Gespräche. “Wie konnten die Behörden diesen Coup nicht kommen sehen?”, fragt ein älterer Mann. “Die Putschisten haben sich doch bewaffnet.”
In Teilen der Stadt wird zu dieser Zeit auch noch gekämpft. Barrikaden versperren einzelne Straßen. Putschisten, die sich im Hauptquartier der Armee verschanzt haben, liefern sich eine letztes Gefecht mit der Polizei.
Erst ab dem Nachmittag feiern die Bürger auf dem Kiziliay Platz, im Zentrum Ankaras, den endgültigen Sieg über die abtrünnigen Militärs. Sie tragen türkische Fahnen bei sich und skandieren “Die Türkei gehört uns!” und “Allah ist groß.”
Die Party dauert bis spät in die Nacht an. Autos hupen. Regierungsanhänger singen Lieder. Die Menschen geben sich ausgelassen, doch viele stehen noch immer unter Schock. Sumeyye Aciker, eine Soziologie-Studentin aus Ankara, erzählt, ihr Vater sei am Freitagabend stundenlang an seinem Arbeitsplatz in der Nähe des Parlaments festgesessen. “Er rief gegen 9 Uhr an und sagte, dass Kampfjets am Himmel wären. Wir saßen vor dem Fernseher und haben gebetet.” Aciker sah mit an, wie Soldaten auf Passanten schossen. “Ich kann es nicht ertragen, dass sie unsere Leute mit unseren eigenen Jets, unseren eigenen Panzern und Helikoptern angegriffen haben”, sagt sie.
Viele sorgen sich um die Zukunft der Türkei. Zwar wurde der Putsch durch das Militär abgewendet, doch die Demokratie in der Türkei erodiert weiter. Die Gesellschaft ist tief gespalten und Präsident Erdogan hat bereits angekündigt, seinen unerbittlichen Politikstil fortsetzen zu wollen und nun noch härter gegen Gegner vorzugehen.
“Jetzt, da wir Bürger Erdogan vor einem Coup bewahrt haben, werden wir mehr Rechte erlangen? Können wir nun frei über ihn sprechen? Bekommen wir freie Medien?”, fragt der türkische Journalist Yusuf Sayman.
Die wenigsten Oppositionellen würden diese Frage im Moment mit Ja beantworten.