Die Bekämpfung der Christen, die Bestrafung des Sünders im Grab und die Höllenqualen unartiger Kinder bestimmen heute noch die religiöse Erziehung in der arabischen Welt. Angesichts dessen erscheint eine Revolution der Lehrinhalte längst überfällig. Von Mussa Barhoma
Das Wandbild in der Grundschule war furchterregend: Schon ein flüchtiger Blick darauf schockierte. Das Bild trug den Titel “Strafe für versäumte Gebete”. Es zeigte zwei Mädchenleichen. Die erste (eine regelmäßige Beterin) war sanft auf grünem Laub gebettet, das im Licht erstrahlte. Die zweite (eine nachlässige Beterin) war verkohlt, entstellt und blutverschmiert. Eine Schlange hielt sie im Würgegriff. Um sie herum lagen schwarze Steine.
Die Kinder dort stellten mir Fragen zu Himmel und Hölle. Sie beschrieben mir ausgiebig das Leben in der Hölle, so wie es ihre Lehrer vermittelten. Und zwar nicht nur im Religionsunterricht, sondern in allen Fächern, sogar in Mathematik und Kunst.
Ein Religionslehrer in einem renommierten Kindergarten in der jordanischen Hauptstadt Amman bezeichnete Christen als “ungläubige Nazarener”. Die jungen Mädchen ermahnte er, fleißig zu beten und den Hidschāb (das Kopftuch) zu tragen. Ansonsten würden sie in der Hölle schmoren.
Jordanische Pädagogen beklagen bitter die allgegenwärtige Indoktrination in Schulen und Kindergärten zu den Themen Sünde und Bestrafung sowie die mangelnde Berücksichtigung von Kunst, Musik und wissenschaftlicher Logik in den Lehrplänen. Die beherrschenden Themen sind der Dschihad (die Anstrengung auf dem Weg zu Gott), der Lohn der Mudschahedin (der Glaubenstreuen) im Jenseits und die Pflicht der Muslime zur weltweiten Verbreitung des Islam.
Auch die “Bestrafung der Sünder im Grab” sowie Himmel und Hölle werden behandelt – das zivile Recht jedoch nicht. Intensiv werden die Tugenden der Frau besprochen, die ihrem Manne untertan ist. Von der Frau als menschliches Wesen keine Spur. Gelinde gesagt ist die Behandlung der Frau in den Lehrplänen ohnehin mangelhaft. Der männliche Chauvinismus in den Schulbüchern der Primarstufe lässt sich folgendermaßen zusammenfassen: “Mama kocht, während Papa die Zeitung liest”.
Schulbüchern mangelt es an Denkinhalten und Konzepten
Auf einem Seminar in Amman wiesen Experten kürzlich darauf hin, dass “die meisten Frauen in Schulbüchern mit Kopftuch dargestellt werden” und dass “es keinen Hinweis auf die Existenz des Christentums gibt, ausgenommen ein einziges Bild in nur einer Unterrichtseinheit”. Die Erziehungswissenschaftlerin Dalal Salama merkte an, dass in zwei Fällen – nämlich im Arabischlehrbuch Stufe 1 und im Islamlehrbuch Stufe 3 – Kinder nur das Zusammenleben als eine Tugend unter Muslimen kennenlernten: Ein guter Muslim ist jemand, der anderen Muslimen keinen Schaden in Wort oder Tat zufügt.
Und weiter, dass Muslime “alle Muslime lieben, deren Leben und Eigentum schützen und darauf achten, diesen weder mit Worten noch mit Taten zu schaden”. Und dass Muslime “andere Muslime nicht ängstigen, indem sie ihre Stimme erheben oder diesen mit Stöcken oder Waffen drohen”.
Der Bildungsexperte Dr. Dhoqan Obaidat untersuchte das Buch zum allgemeinen Kulturunterricht. Dort wird Kindern in einer Lektion über “moderne Naturwissenschaften” beigebracht, dass die Wissenschaften zwar “für die Landwirtschaft usw. von gewissem Nutzen sind, dass sie jedoch Unruhen mit sich gebracht, Zivilisationen zerstört, die Säkularisierung und den Materialismus gefördert und die Bildung von anonymen Großstädten bewirkt haben. Sie entfremden die Menschen von Gottesdienst, Religion, Familie, Natur, Ehre, Liebe und Freundschaft. Sie bringen mehr Ehescheidungen, mehr Drogen und mehr Umweltzerstörung mit sich.”
Lehrer prägen die Gedankenwelt der Kinder
“Die Islamisten beherrschen seit Jahrzehnten das Bildungsministerium und haben eine Islamisierung der jordanischen Lehrpläne betrieben”, so Hosni Ayesh, Experte für akademische und schulische Bildung. “Die Islamisierung erstreckt sich mittlerweile auch auf wissenschaftliche Fächer, wie Physik, Biologie und Chemie. Jede Lerneinheit beginnt mit einem Koranvers oder einem Ausspruch des Propheten, wodurch eine Verbindung zwischen Wissenschaft und Religion hergestellt wird.”
In dem Artikel “Unwahrheiten und gefährliche Leitbilder in jordanischen Schulbüchern”, der in der Tageszeitung Al-Ghad (“Der Morgen”) erschien, schrieb die Schriftstellerin und Lyrikerin Zuleikha Abu Risha über ein Religionsbuch für die Stufe 10: “Kindern wird beigebracht, sie müssten die Waffen gegen Andersgläubige ergreifen. Begriffe wie Kampf, Glaubensabtrünnigkeit, Dschihad, gerechtes Blutvergießen, Enteignung, Zwangsbekehrung im Tausch gegen das Recht zu leben und sein eigenes Eigentum zu behalten – ganz zu schweigen von Gebetszwang – können weder eine ‘tolerante’ Gesellschaft noch einen ‘toleranten Islam’ hervorbringen.”
Bildungsexperten warnen vor einem “heimlichen Plan” und verweisen auf die wichtige Rolle der Lehrer für die Gedankenwelt der Kinder im negativen wie im positiven Sinne. Dieser Aspekt blieb in den vergangenen Jahren offensichtlich unberücksichtigt.
Klagen häufen sich über die im Allgemeinen schlechte pädagogische und fachliche Qualifikation der Lehrer, sei es in den Naturwissenschaften, in der Religionslehre oder in den Grundlagen der arabischen Sprache. Sie scheinen voller psychologischer und sozialer Komplexe zu sein, unfähig, Kinder zu unterrichten oder zu erziehen. Diese Lehrer bedürfen selbst einer Aus- und Weiterbildung. Geisteshaltung und Einstellung verlangen eine Neuausrichtung, damit sie Anschluss an den Zeitgeist finden und einem grundlegenden Wandel in den Lehrplänen folgen können – ganz zu schweigen von modernen Lehrmethoden.
Aus Untersuchungen und Studien weiß man, dass die Schullehrpläne voll sind an IS-Gedankengut, puritanischen Vorstellungen, Aberglauben, Metaphysik, Fremdenfeindlichkeit und Ausgrenzung – also Begriffen, die weit entfernt sind von nüchternem Verstand, kritischer Analyse sowie philosophischer Bildung oder logischem Denken.
Auf der Suche nach schnellen und wirksamen Lösungen zur Rettung der letzten Reste einer ohnehin fragilen Zukunftsperspektive sind drei parallele Handlungsstränge zu verfolgen:
Erstens sind alle Lehrbücher so umzuschreiben, dass sie modernen Unterrichtsmethoden gerecht werden und inhaltlich mit den Lehrplänen entwickelter Länder vergleichbar sind. Kinder der Primar- und Sekundarstufe sollten mit islamischen Begriffen und humanistischen Werten vertraut gemacht werden, die nicht zu Verwirrungen und Verirrungen führen. Religion sollte als ein Teil unseres Alltags behandelt werden. Es darf kein Raum sein für Drohgeschichten, die in den Bereich metaphysischer Spekulationen gehören und von Kindern intellektuell gar nicht verarbeitet werden können.
Pädagogen müssen sich wissenschaftlicher Methoden bedienen. Zu gelten haben die Grundsätze der rationalen Kritik, Analyse, Argumentation, Logik und einer Philosophie als Quelle der Inspiration.
Zweitens sind Lehrkräfte sorgfältiger und nach strengen Kriterien auszuwählen. Das gilt besonders für Lehrer an Primarschulen. Arbeitsbedingungen, Gehälter und Sozialleistungen der Lehrer müssen verbessert werden, damit diese sich ihrer Aufgabe voll und ganz widmen können.
Und drittens muss ein gesetzlicher Rahmen geschaffen werden. Wer gegen die Grundsätze der Lehre verstößt und wer die Anforderungen nicht erfüllt oder versucht, die ihm anvertrauten Menschen ideologisch oder durch Falschdarstellung zu infiltrieren, muss zur Verantwortung gezogen werden. Wer die Köpfe der Kinder verdirbt, verdirbt die gesamte Nation und setzt unsere Zukunft in Brand.