Die Jugendfreizeitgruppe aus dem Süden Schleswig-Holsteins ist eine besondere: Mehrere der Betreuer kommen aus Ländern wie Syrien, Libanon oder der Türkei. Sie machen die Gruppenleiter-Ausbildung – und verbessern ihr Deutsch. Viele Sorgen im Vorfeld erwiesen sich als unbegründet.
“Felix! Komm raus aus dem Wasser! Komm raus!”
Mohammad Abd Al Kader steht am Strand und trommelt die Kinder zusammen, die in den Nordseewellen toben. Er will mit ihnen gleich zurück in die Jugendherberge gehen. Der 18-jährige gebürtige Syrer ist erst seit zehn Monaten in Deutschland. Er hat gemerkt: Bei der Arbeit mit den Kindern lernt er viel besser Deutsch als in der Schule.
“Ich konnte da gar nichts lernen. Ich bin nur einmal in mein Jugendzentrum gegangen und habe mich mit so vielen Leuten unterhalten, dass ich die Idee hatte, den Jugendgruppenleiter zu machen. Das hilft mir, die Sprache zu lernen.”
Fünf der insgesamt neun Nachwuchs-Betreuer hier haben einen Migrationshintergrund. Sie kommen aus dem Libanon, Syrien, Pakistan und der Türkei. Sie waren in einem Ratzeburger Jugendzentrum mit verstärkt interkulturellem Angebot von den Organisatoren gefragt worden, ob sie Lust auf diese Ausbildung haben. Nach zwei theoretischen Wochenendworkshops ist diese Reise der praktische Teil, am Ende bekommen sie die bundesweit offizielle Jugendleiterkarte. Kinder ins Bett schicken, Ansagen zum Tagesablauf machen – Mohammad war vor der Reise unsicher, ob er das mit seinen Deutschkenntnissen hinbekommt:
“Ich hatte richtig Angst, mit den Kindern umzugehen. Aber als wir mit dem Zug gefahren sind, wusste ich: Das klappt ja.”
Kreisjugendpfleger und Mitorganisator der Fahrt Matthias Beck hatte vor der Freizeit Absagen von Eltern befürchtet, die ihre Kinder nicht mit diesem bunten Betreuerteam losschicken wollten. Seine Sorgen seien völlig unbegründet gewesen, sagt er. Spannungen und Konflikte zwischen den kulturell bunt gemischten Jugendlichen? Ja – die gebe es, nach ein paar Tagen habe es mal richtig geknallt, sagt Beck. Das kenne er allerdings von allen Jugendfreizeiten. Grundsätzlich ist er positiv überrascht wie mutig sich die Truppe ihren Aufgaben stellt. Ihm sei jedoch schon vorher klar gewesen, dass sie auch sprachlich fit genug für die Tour sind.
“Alle sprechen so gut Deutsch, dass die Dinge, die laufen müssen, vermittelt werden können. Man lacht zusammen, wenn Dinge merkwürdig ausgedrückt werden. Das Deutsch ist eben nicht immer für die Deutschlehrerinnen gedacht, es ist eben da, um sich zu verständigen – und das funktioniert.”
“Man versteht das Deutsch ja”
Der Jahrestag der Morde auf Utoya und die islamistisch motivierten Anschläge in der letzten Zeit sind hier kein Thema. Die Jugendgruppenleiter sind viel zu beschäftigt, Aktionen für die Kinder zu organisieren und ihre Gruppen zu betreuen. Sie leben hier wie in einer Blase. Das ist auch gut so, sagt Matthias Beck. Auch sie sollen Urlaub haben von ihren Alltagssorgen und teils traumatischen Fluchterfahrungen. Die fordern auch ihm als Mitorganisator der Freizeit Fingerspitzengefühl ab. Bei der Planung der obligatorischen Nachtwanderung rund um die Legende eines berühmten Sylter Piraten zum Beispiel.
“Da wollten wir die Geschichte erzählen, wie sich die Gefangenen wieder von ihm befreit haben und aus diesem Lager geflüchtet sind, und dann, wenn sie auf die andere Seite des Watt gelangen, wieder in Freiheit sind. Das vor dem Hintergrund der Fluchterfahrung ist nicht möglich. Eine Nachtwanderung braucht immer eine Geschichte, und genau diese ging nicht.”
Der elfjährige Leif hat kein Problem damit, dass einige Betreuer mal die Artikel beim Sprechen durcheinanderwerfen – der, die oder das . Auch, dass der ein oder andere noch in gebrochenem Deutsch spricht:
“Man versteht das Deutsch ja. Also, ich find alle nett.”
Statt Arzt vielleicht doch Kindergärtner werden?
Hennabemalungs-Workshops und Spiele aus dem arabischen Raum – die Gruppenleiter mit Migrationshintergrund bringen ganz neue Ideen ein, so die Beobachtung von Sozialpädagogin Stephanie Petersen, die die angehenden Gruppenleiter mitbetreut. Sie würde es gut finden, wenn in Zukunft mehr Betreuergruppen solcher Fahrten vielfältiger werden würden.
“Insofern, dass die Kinder, die an dieser Fahrt teilnehmen, konfrontiert sind, dass es völlig selbstverständlich ist, dass auch die Jugendgruppenleiter aus anderen Ländern kommen und dass auch Kinder aus Familien mit Migrationshintergrund daran teilnehmen können. Die die Bereitschaft von zum Beispiel muslimischen Eltern ist wesentlich höher, ihre Kinder auch an solchen Fahrten teilnehmen zu lassen, wenn wir auch muslimische Jugendgruppenleiter dabei haben.”
Wenn Mohammad nach dieser Freizeit auf Sylt die Jugendleiterkarte in der Tasche hat, will er sich unbedingt weiter für Kinder engagieren. Eigentlich wollte er mal Arzt werden, so wie sein Vater. Jetzt kann er es sich sogar vorstellen, auch beruflich weiterhin Kinder zu betreuen.
“Kann sein, dass ich weiter mit Kindern arbeite. Ich glaube, im Kindergarten oder in der Kita.”