Ein intensiver,schwerer Krieg

Ein intensiver, schwerer Krieg.
In Syrien und im Libanon herrsche große Hilfsbereitschaft, sagt Christian Reuter, der Generalsekretär des Deutschen Roten Kreuzes. Das Verhältnis der Konfessionen habe sich verschlechtert. Doch es gebe viel Solidarität.

 

Die Evakuierung der Stadt Aleppo – Mitarbeiter des Roten Kreuzes sind vor Ort

 

Herr Reuter, Sie sind dieser Tage durch Syrien gereist. Unter anderem waren Sie in der Stadt Homs. Welchen Eindruck haben Sie von der Stadt?

 

Christian Reuter: Die Lage in Homs ist von Viertel zu Viertel unterschiedlich. Natürlich gibt es auch das schwer zerstörte Homs, das gilt vor allem für die Altstadt, wo sich ja der bewaffnete Widerstand befand. Die Zerstörungen dort sind in etwa von der Dimension wie in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg.

 

Es gibt aber auch weite Teile, die nicht beschädigt sind. Dort leben die Menschen fast wie in normalen Friedenszeiten. Syrien befindet sich seit knapp sechs Jahren in einem intensiven, schweren Krieg. Das schlägt sich natürlich überall nieder. Und so ist die Gesamtsituation sehr schwierig.

 

Wie finden sich die Menschen dort zurecht?

 

Es fehlt inzwischen an vielem. Das fängt damit an, dass die Menschen oft nicht einmal Wasser haben oder vom Strom abgeschnitten sind. Es fehlt an Hygieneartikeln, an Rollstühlen für Ältere und Behinderte. Auch die Lebensmittelversorgung ist immer wieder unterbrochen. Hinzu kommen die intern Vertriebenen. Die meisten Flüchtlinge sind ja nach wie vor innerhalb Syriens unterwegs. Denen fehlt auch das Dach über dem Kopf.

 

Werden die Binnenflüchtlinge von ihren Landsleuten unterstützt?

 

Es ist ein solidarisches Miteinander. Die Menschen versuchen, sich gegenseitig zu helfen. Dennoch können sie natürlich nicht Hilfe in dem Maß leisten, wie wir das zusammen mit unserer Schwestergesellschaft tun, dem Syrisch-Arabischen Roten Halbmond. Wir bringen all das, was fehlt: medizinische Hilfe, Lebensmittel, Hygieneartikel, Babymilch – all die Dinge, die in Syrien heute nicht mehr vorhanden sind. Die stellen wir sämtlichen Syrern zur Verfügung.

 

Dem Krieg ist ja auch eine künstliche konfessionelle Note aufgezwungen worden. Hat das Auswirkungen auf das Verhältnis zwischen Sunniten und Schiiten?

 

Es sind in der Tat konfessionelle Fackeln entzündet worden. Das Zusammenleben zwischen Schiiten und Sunniten ist nach sechs Jahren Krieg natürlich viel schwieriger und in manchen Bereichen auch feindseliger geworden. Das macht die Situation nicht einfacher.

 

Ist das Deutsche Rote Kreuz mit seinen Partnerorganisationen hinreichend gewappnet, die Menschen in einem doch relativ großen Land wie Syrien hinreichend zu versorgen?

 

Wir haben 190 Schwestergesellschaften. In Syrien ist der Syrisch-Arabische Rote Halbmond flächendeckend im Land vertreten und wir arbeiten natürlich auf Grundlage dieser Strukturen zusammen. So sind wir in der Lage, in Syrien fast flächendeckend zu arbeiten.

 

In welchen Bereichen läuft die Arbeit gut, wo sehen Sie Verbesserungsmöglichkeiten?

 

Zufrieden bin ich mit der Unterstützung durch die Bundesregierung. Wir haben im Kontext der Flüchtlings- und Syrienhilfe gut einhundert Millionen Euro Unterstützung erhalten. Dafür sind wir sehr dankbar. Das Geld setzen wir zielgerichtet ein, und es kommt auch an.

 

Dennoch ist es schwierig, in einem Land, in dem Krieg herrscht, jederzeit rechtzeitig und zeitnah Hilfe zu leisten. In Bereichen, in denen der sogenannte “Islamische Staat” (IS) vorherrscht, ist das natürlich schwierig oder sogar unmöglich. Auch in den umkämpften Bereichen ist es schwierig, Hilfe zu leisten.

 

Derzeit halten Sie sich in Beirut auf. Auch dort leben ja sehr viele syrische Flüchtlinge. Wie ist deren Lage?

 

Die Libanesen zeigen eine große Aufnahme- und Hilfsbereitschaft. Der Libanon hat rund vier Millionen Einwohner, seit Jahrzehnten beherbergt er eine halbe Million palästinensischer Flüchtlinge. Dazu kommen jetzt eineinhalb Millionen syrische Flüchtlinge. So herrscht einerseits eine große Hilfsbereitschaft.

 

Andererseits ist natürlich klar, dass es bei solchen Zahlen – immerhin stellen die Flüchtlinge ja ein Viertel der libanesischen Bevölkerung – an Infrastruktur, medizinischer Versorgung oder Bildung vielfach mangelt. Die Flüchtlinge leben in Zeltstädten, halbfertigen Bauten oder auch Industriegebäuden. Das sind humanitär natürlich sehr schwierige Bedingungen.

 

Welchen Eindruck nehmen Sie persönlich von dieser Reise mit?

 

Wir leben in Europa doch sehr komfortabel. Das ganze Maß von Not und Elend der Flüchtlinge bekommen wir kaum mit. Insofern tut uns der Blick über die eigenen Grenzen und eigenen Befindlichkeiten gut. Wir tun gut daran, Menschen in anderen Teilen der Welt die notwendige Unterstützung angedeihen zu lassen. Dafür werbe ich.