Die Annährung Ankaras hat Moskau im Ringen mit der EU-Kommission um Pipelinerouten deutlich gestärkt. Dies dürfte sich auch auf die Ostsee-Pipeline
In der Türkei steigt die Gasnachfrage seit langem besonders stark an. Darum wurde nach der Jahrtausendwende in einer italienisch-russisch-türkischen Kooperation eine Leitung durch das Schwarze Meer verlegt, die Russland und die Türkei direkt verbindet.
Diese „Blue-Stream“-Pipeline ging Anfang 2003 in Betrieb. Zuvor war die Türkei ausschließlich über die Transitleitungen über die Ukraine und Südosteuropa mit russischem Gas beliefert worden. Im November 2005 wurde die Leitung von den führenden Politikern der drei beteiligten Länder auch offiziell eröffnet.
Putin_Erdogan_Berlusconi_Archivbild
Im Frühjahr 2009 vereinbarten die drei Länder eine deutliche Kapazitätserweiterung von Blue-Stream, die 16 Mrd. Kubikmetern jährlich transportieren konnte, was etwa einem Viertel des deutschen Importbedarfs entspricht. 2008 waren etwa zehn Mrd. Kubikmeter geliefert worden. Die Wirtschaft und Energienachfrage der Türkei wiesen zum einen hohe Wachstumsraten auf. 2009 nahm sie neun Prozent der gesamten russischen Gasexporte ab. Zum anderen wurde erwartet, dass russisches Gas über türkisches Territorium und eine Leitung auf dem Grund des Mittelmeeres an Syrien vorbei auch nach Israel exportiert werden könnte.
Im östlichen Mittelmeer wurden jedoch bereits 2010 sehr umfangreiche Gasvorkommen entdeckt, sodass an einen Export nach Israel nunmehr nicht mehr gedacht werden konnte. Zypern und der Libanon drohten darüber hinaus zukünftig zu ernsthaften Konkurrenten Russlands auf den Märkten werden. Die Gasgewinnung versprach sehr lukrativ zu werden und die Türkei drohte Zypern sogar mit militärischen Maßnahmen, falls Bohrungen in einem Meeressektor begonnen würden, auf den auch Ankara Anspruch erhob. Russland reagierte hierauf mit der Entsendung einer Flugzeugträgers und zumindest eines U-Bootes vor die Küsten der Mittelmeerinsel, um Zypern zu unterstützen. Dieses blieb gleichwohl zurückhaltend, russische Unternehmen einzubinden.
Sowohl Russland als auch die Türkei scheuten sich nicht, ihre Interessen mitunter sehr robust zu vertreten, sie verstärkten aber dort ihre Zusammenarbeit, wo es beiden nützlich schien. So wurde die Durchleitungsfähigkeit von Blue Stream bereits 2010 voll genutzt. Die geplante Erweiterung der Pipeline wurde aufgrund der ungünstigen Nachfrageentwicklung aber zurückgestellt.
Ankara stimmte im Sommer 2009 aber den russischen Plänen zur „South-Stream“-Leitung zu.
Pipelineprojekt_South_Stream
Durch diese Pipeline sollte Gas auf dem Grund des Schwarzen Meeres über Bulgarien bis zu den Verbrauchern in Mitteleuropa geführt werden und teilweise durch türkische Hoheitsgewässer geführt werden. Russland kam mit dem Genehmigungsverfahren für South Stream über zwei Jahre aber nicht voran, weil die Türkei Einwände erhob. Moskau sprach schließlich davon, auf das Projekt zu verzichten und deutlich mehr Flüssiggas zu produzieren. Dies war jedoch nur mittel- und langfristig möglich, Moskau versuchte lediglich Druck auf Ankara auszuüben. Russland stellte 2011 lediglich 4,3% des weltweiten LNG-Exports.
Ende Dezember 2011 erhielt Russland schließlich die Baugenehmigung aus Ankara. Die Türkei bekam im Gegenzug Erleichterungen beim Gaspreis in Höhe von einer Mrd. US-Dollar. Die Türkei war ein fordernder Kooperationspartner. Dies musste auch die EU feststellen. Ankara hatte bereits mehrfach deutlich gemacht, als Transitland für die von der EU-Kommission präferierte „Nabucco“-Pipeline nur gegen eine Aufnahme in die EU zur Verfügung zu stehen.
Russland schloss für South Stream Regierungsabkommen mit sämtlichen Transitländern ab. In Russland sowie Serbien wurde 2012 bereits mit Bauarbeiten für die Leitung begonnen, die 2015 in Betrieb gehen sollte. Die EU-Kommission zeigte sich aber spätestens seit dem Ausbruch der Ukrainekrise im März 2014 entschlossen, die Inbetriebnahme der Pipeline zu verhindern. Sie argumentierte mit rechtlichen Bedenken, die aber weder von den Juristen der EU-Kommission noch bspw. von der deutschen Regierung geteilt werden. Bulgarien wurde gleichwohl im Juni 2014 dazu gebracht, seine Zustimmung zu South Stream zurückzuziehen, und Russland nahm Abstand von dem Projekt, was der deutsche Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel bedauerte.
Moskau und Ankara einigten sich Ende 2014 stattdessen auf den Bau der mit 63 Mrd. Kubikmetern sehr leistungsfähigen Pipeline „Turkish Stream“. Hiervon sollten 14 Mrd. für den türkischen Markt bestimmt sein und fast 50 Mrd. über Griechenland zu europäischen Abnehmern gelangen. Hierdurch sollten die Einwände der EU-Kommission umgangen werden.
Turkish-Stream-Pipeline
Die scharfen russisch-türkischen Spannungen machten diese Pläne Ende 2015 zunichte. Präsident Erdogan sprach im August 2016 bei seinem Russlandbesuch davon, dass sie nunmehr umgesetzt würden. Sein russischer Amtskollege machte hingegen deutlich, dass man sich lediglich auf einen Pipelinebau verständigt habe, um Lieferungen an die Türkei selbst zu verstärken. Ein Ausbau auf die geplanten 63 Mrd. Kubikmeter komme erst dann in Frage, wenn mit der EU-Kommission eine Einigung gefunden werde. Die Pipeline für den türkischen Bedarf soll in der zweiten Hälfte des Jahres 2019 in Betrieb gehen.
Russland setzt sowohl die EU-Kommission als auch die Türkei unter Druck: Putin hatte sich unmittelbar vor dem Besuch Erdogans mit dem bulgarischen Ministerpräsidenten Bojko Borisov darauf geeinigt, South Stream evtl. doch zu realisieren. Die bulgarische Seite betonte hierbei, „EU-Regelungen selbstverständlich einzuhalten“. Aber die Deutung dieser Regeln ist umstritten. Auf der einen Seite stehen die EU-Kommission und einige v.a. ostmitteleuropäische Mitgliedsländer, auf der anderen die Mehrzahl der anderen EU-Mitglieder (u.a. Deutschland) und die eigenen Juristen der EU-Kommission.
Russland liebäugelt einerseits mit South Stream, um die Türkei und die EU unter Druck zu setzen. Andererseits werden die Voraussetzungen für die Ostseepipeline verbessert. Sie kann aufgrund der umstrittenen Einwände der EU-Kommission bislang nur zu einem Teil genutzt werden (http://www.cwipperfuerth.de/2016/02/20/streit-um-die-ostseepipeline/). Zudem steht ihr weiterer Ausbau an, den Brüssel und einige andere verhindern wollen.
Der Gasimportbedarf mittel-und westeuropäischer Länder wird steigen, zusätzliche Einfuhren werden erforderlich sein, nicht zuletzt aus Russland. Sie könnten zumindest zum Teil auch durch die Ukraine erfolgen, was wünschenswert wäre. Aber dies setzt grundsätzlich kooperative Beziehungen Russisch mit der Ukraine bzw. zwischen dem Westen und Russland voraus, was leider nicht absehbar ist.
Russland jedenfalls hat einige Trümpfe in der Hand. Entweder werden South Stream oder Turk Stream realisiert und/oder der Ausbau der Ostseepipeline, also von „Nord Stream“. Die EU-Kommission wird zurückstecken müssen.