Von der Küste auf die Piste

Der Libanon kann mehr als Strandurlaub: Nur eine Autostunde entfernt von der Hauptstadt Beirut liegt ein großes Skigebiet. Doch das ist eher ein teures Oberschichtvergnügen. Und der Krieg im benachbarten Syrien bleibt nicht ohne Einfluss.

 

Tintenblau liegt das Meer vor der Küste von Beirut. Tosend klatschen die Wellen an die hellen Felsen, auf denen die Stadt gebaut ist. “Perle am Mittelmeer” wird Beirut auch genannt. Dank des mediterranen Klimas hängen hier selbst jetzt im Winter dicke Zitronen an den Bäumen. Auf den Berggipfeln, die gleich hinter Beirut aufragen, glitzert unterdessen der Schnee…

 

Von der Küste auf die Piste, heißt es deshalb an den Winterwochenenden für viele Familien: Früh aufstehen, Steppjacken und Thermo-Hosen ins Auto und über die Schnellstraße raus aus der dicht bebauten Metropole. Noch ein letzter Blick auf den Sandstrand, dann geht es in lang gezogenen Serpentinen hinauf in die libanesischen Berge.

 

Die Fahrt führt durch beschauliche Dörfer, vorbei an Apfelbaum-Plantagen, für die die Bauern an den steilen Hängen Terrassen angelegt haben. Bald werden die Pullover übergezogen. Mit jedem Höhenmeter wird es kälter. Zuerst wirkt die Landschaft nur wie vom Frost überzuckert. Doch die Ruinen eines antiken Tempels auf halber Strecke, eines der zahlreichen Relikte aus römischer Zeit, tragen bereits Schneehauben. Und kurz darauf ist bis auf die gut geräumte Straße alles weiß. In der aramäischen Sprache bedeutete “weiß” einst “lbn”. Es ist der Ursprung des Namens “Libanon”, mit dem gleichsam der Schnee auf den Bergen oder der helle Kalk-Fels des Landes gemeint sein können.

 

Ankunft in Faraya, einem kleinen Berg-Ort auf 1800 Metern Höhe. Gut 50 Kilometer sind es von Beirut bis zum beliebtesten Ausflugsziel des Landes – nur eine knappe Stunde Fahrt. Doch bei perfektem Pulverschnee und einem strahlend blauen Tag wie diesem ist man natürlich nicht alleine.

 

Das größte Skigebiet im Nahen Osten

 

Auf den letzten Kilometern geht es nur noch im Schritttempo vorwärts. Ein Polizist lotst die Autoschlange zu den Großparkplätzen.

 

Schild auf einem Skigebiet im Libanon (Deutschlandradio Kultur/ Cornelia Wegerhoff)

 

“Glück kannst Du nicht kaufen, aber einen Skipass”, steht dort auf einer riesigen Werbetafel wie ein Tagesmotto zu lesen. Und: “Willkommen in Mzaar”, so heißt das Ski-Resort oberhalb von Faraya, das die meisten Tagesgäste anfahren.

 

“Wir haben hier 84 Kilometer präparierte Strecken, 14 Sessellifte, fünf Schlepplifte. Das ist das größte Skigebiet im Nahen Osten.”

 

Atef ist sogenannter “Operation Manager” in Mzaar. Im signalroten Ski-Anzug steht er am Pistenrand, mit einem Funkgerät am Ohr. Atef überwacht die Lifte, koordiniert die Arbeit der Pistenbullys, die die Abfahrten präparieren, und die Einsätze der Bergwacht.

 

Die Rettungssanitäter sind mit Motorschlitten im Einsatz. An gut besuchten Tagen wie heute sind allein das 32 Einsatzkräfte.

 

“Die genauen Besucherzahlen haben wir immer erst am Abend. Aber wir rechnen heute mit etwa 5000 Skifahrern. Dazu kommen noch mal weitere 10.000 Gäste, die sich Fuß hier bewegen. Unsere Saison dauert im Schnitt hundert Tage. So um Weihnachten, Silvester geht es meistens los. Je nach Wetter haben wir bis in den April hinein Schnee.”

 

Naturschnee! Schneekanonen gibt es hier oben nicht. Stattdessen aber 300 Tage im Jahr Sonne. Davon können sie in den Alpen nur träumen…

 

Aus der Schweiz soll der Legende nach vor gut hundert Jahren ein libanesischer Student seine Begeisterung für das Skifahren in den Nahen Osten mitgebracht haben. Französische Offiziere gründeten vor mehr als 80 Jahren die ersten offiziellen Skischulen. Bis 1943 war der Libanon eine französische Kolonie. In den Skischulen wurden Soldaten trainiert, die im libanesischen Gebirge patroullierten. Esel trugen sie bis auf die Gipfel, auf Holzskiern ging es wieder hinunter. Die ersten Lifte wurden zu Beginn der 1950er Jahren gebaut, die Anfänge des Wintersport-Tourismus.

 

Im Westen liegt das Mittelmeer

 

Schnee spritzt auf. Die Kante eines Snowboards knirscht. Aus der vollen Fahrt heraus nimmt ein junger Mann eine enge Kurve und kommt genau am Pistenrand zum Stehen.

 

“Es ist großartig hier. Da hinten wird gerade auch noch ein Fun-Park hergerichtet. Da können die Snowboarder springen und ein paar Tricks machen.”

 

Karim ist 25 Jahre alt, Ingenieur und lebt in Beirut.

 

“Ich komm mit meiner Familie seit seit zehn, seit 15 Jahren hierher. Ich denke, heute fahren wir am Abend wieder in die Stadt zurück. Aber wir haben auch ein kleines Chalet hier. Das ist toll. Da springst du morgens aus dem Bett und stehst gleich auf der Piste.”

 

Karim deutet ins Tal. “Schweiz des Nahen Ostens” wird der Libanon auch genannt. Neben den schneebedeckten Gipfeln erinnern auch die holzvertäfelten Chalets an die Wintersportorte in Europa. Selbst das größte Hotel in Faraya, eine 5-Sterne-Unterkunft mit 140 Zimmern, geschickt verteilt auf mehrere kleine Gebäude mit Satteldächern und Holzbalkonen, sieht eher aus wie eine alpenländische Bergsiedlung als ein Stück Orient.

 

Mit dem Sessellift macht sich Karim wieder auf dem Weg zum Gipfel. 2465 Meter hoch ist der “Dome du Mzaar”, der höchste Berg im Resort. In nordöstliche Richtung fällt dort der Blick auf die Bekaa-Ebene, im Westen auf das Mittelmeer.

 

“Man sieht das Meer und den Schnee. Der Libanon ist wunderbar. Das ist doch schöner als in Deutschland hier, oder?”

 

Adeeb zwinkert. Gut gelaunt steht der junge Libanese mit dem Hipster-Bart beim Skiverleih. Seine Familie kann sich zwar kein Chalet leisten. Aber da er es von Beirut aus nicht weit hat, ist eine Übernachtung auch nicht nötig, meint der Student, der gerade zusammen mit seiner Freundin Skistiefel anprobiert:

 

“Wir kommen im Winter jedes Wochenende. Wenn Du die Ausrüstung leihst, bekommst du die Ski-Karte umsonst dazu. Das weißt Du, oder?”

 

Der Spar-Tipp stimmt. Die junge Frau an der Kasse nickt.

 

“Wir haben auch Handschuhe, Skibrillen. Alle Marken. Bei uns kann man alles leihen: Kleidung, Schuhe. Es geht bei zehn Dollar los, für das Paar Ski und Stiefel dazu.”

 

Mit US-Dollar zu zahlen, ist im Libanon normal. Während des libanesischen Bürgerkrieges von 1975 bis 1990 verlor die einheimische Währung dramatisch an Wert. Seit rund 20 Jahren ist das libanesische Pfund deshalb an den Dollar gekoppelt, zu einem festen Kurs von 1:1500. Überall kann mit beiden Währungen bezahlt werden.

 

“Die Preise für die Skikarten sind hier natürlich viel günstiger als in Europa.”

 

Der Pistenspaß ist Luxus im Land

 

Shelbin ist Skilehrer in Mzaar. Weil er zu Ausbildungszwecken mindestens einmal im Jahr in den Alpen unterwegs ist, kann er gut vergleichen.

 

“Für eine Fünf-Tages-Karte bezahlt man hier im Libanon zum Teil nur 60 Dollar. Wenn du das mit Europa vergleichst, ist es sehr preiswert hier. Aber für die Libanesen ist das natürlich anders. Die meisten Leute verdienen nicht so viel. Für die Mehrheit der Menschen hier ist Skifahren teuer.”

 

Der Bürgerkrieg im Nachbarland Syrien hat auch die Wirtschaftslage im Libanon in den vergangenen sechs Jahren negativ beeinflusst. Über 1,5 Millionen Syrer sind in das kleine Land gekommen. Das entspricht mehr als einem Viertel der Bevölkerung. Viele Syrer haben sich im Libanon – trotz eines oft ungeklärten Aufenthaltsstatus – als preiswerte Arbeitskräfte angeboten. Die Folge: Das Durchschnittseinkommen der Libanesen ist stark gesunken. Für Ausflüge bleibt da bei vielen kaum Geld übrig.

 

An den teuren Autos und der Marken-Kleidung der Gäste in Mzaar lässt sich erkennen, dass der Pistenspaß für Libanesen Luxus ist. Skilehrer Shelbin und vielen tausend Beschäftigten in der Region sichert er das Einkommen. Über ein Drittel aller Arbeitsplätze des Libanon soll direkt oder indirekt vom Tourismus abhängen.

 

“Wir haben heute 18 Gruppen. Es ist schön, dass wir die Leidenschaft fürs Skifahren weitergeben können. Wir haben einen Ausbilder in der Schweiz, der auch jedes Jahr zu uns kommt und die neuesten Trainingsmethoden an uns weitergibt.”

 

“Wie eine Rakete” sei er den Berg heruntergeschossen, berichtet Steven, acht Jahre alt, stolz. Auf seinem Ski-Helm ist Spiderman abgebilde. Die meisten der Kinder kommen mit ihren Eltern aus dem nahen Beirut, so ihr Skilehrer.

 

“Früher hatten wir in der Skischule auch bis zu fünf Gruppen am Tag mit Gästen aus den Golfstaaten. Es kommen immer noch Araber, aber nicht mehr so viele.”

 

Auch das ist eine Folge der Krisenlage in Nahost: Der libanesische Tourismus ist eingebrochen. In guten Jahren wie 2010 kamen noch über zwei Millionen ausländischer Gäste. 2016 kamen nach Angaben des libanesischen Tourismus-Ministeriums 1,3 Millionen. Der Krieg in Syrien und dazu noch ein Doppel-Anschlag des sogenannten “Islamischen Staates” in Beirut im November 2015 hat sowohl die arabischen Touristen als auch europäische Gäste abgeschreckt. Das ist schade, meint die deutsche Managerin Dagmar Symes, die mittlerweile im vierten Jahr im Libanon lebt und arbeitet. Die 51-Jährige ist Hoteldirektorin und telefonisch in Beirut zu erreichen:

 

“Es ist ein unwahrscheinlich schönes, vielseitiges Land. Unwahrscheinlich verblüffend. Vom Meer in die Berge, von Schnee bis Yachthafen. Die Libanesen sind enorm freundlich. Ich glaube, dass der Libanon völlig falsch im Ausland wahrgenommen wird, weil man ihn lediglich auf die schwierige Situation des Mittleren Ostens reduziert.”

 

“Ich lebe nun seit Jahren mit meiner Familie im Libanon und würde meine Familie nie auch nur einem Sicherheitsrisiko unterwerfen. Ich denke, es wäre fair und an der Zeit, dass die generelle Meinung aus dem Klischeedenken ausbricht und diesem wunderschöne Land die Chance einräumt, die es wirklich verdient.”

 

Auch innenpolitisch kehrt Ruhe ein im Libanon

 

Denn auch innenpolitisch bewegt sich der Libanon jetzt wieder in ruhigerem Fahrwasser. Ende Oktober konnte sich das Parlament nach zweieinhalb Jahren ohne Staatschef endlich wieder auf einen Präsidenten einigen. Mit 18 anerkannten Religionsgruppen, die zwar weitestgehend friedlich zusammen leben, aber politisch ihre Interessen durchzusetzen versuchen, ist die Gemengelage schwierig.

 

Sage und schreibe 45 Mal scheiterte zuvor die Präsidenten-Wahl, weil sich die libanesischen Parteien nicht auf einen Kandidaten verständigen konnten und Abgeordnete die Sitzungen boykottierten. Erst nachdem Saad Hariri, Chef der größten sunnitischen Partei des Landes seine Unterstützung bekundete, wurde der Weg frei für den neuen Staatspräsidenten: Michel Aoun. Der 81-Jährige ist Ex-General und Christ. Er gilt aber als Verbündeter der radikalen Hisbollah-Miliz. Wie im Staatspakt des Mehrreligionen-Landes festgehalten, geht der Posten des libanesischen Präsidenten traditionell an einen maronitischen Christen. Der Sunnit Hariri wurde im Gegenzug im Dezember Ministerpräsident. Das gemeinsame Ziel: Stabilität.

 

Und das werde auch dem Tourismus helfen, so die deutsche Hoteldirektorin Dagmar Symes:

 

“Wir haben unwahrscheinlich positive Ansätze derzeit, dass die internationale Szene den Libanon wieder als touristische Destination auf dem Plan hat.”

 

Gerade die besonders zahlungskräftigen arabischen Urlauber, etwa aus Kuwait, den Emiraten und Saudi Arabien, haben früher viel Geld in den Libanon gebracht. Die Nachfrage dieser und auch der europäischen Gäste nehme nun langsam wieder zu, berichtet Dagmar Symes aus den beiden Hotels, die sie in Beirut führt. Und das Schwesterhotel im verschneiten Faraya sei derzeit ausgebucht. Um neue Zielgruppen zu erreichen, zum Beispiel auch Urlauber mit schmalerem Geldbeutel ein Wochenende im Schnee oder im Sommer beim Wandern, etwa auf dem berühmten “Lebanon Mountain Trail” zu ermöglichen, verfolge das Tourismus-Ministerium außerdem ein neues Konzept, weiß Symes.

 

“Es gibt einen Trend derzeit für Ökolodges. Dass Menschen, die unter der Woche in den Städten arbeiten, einfach das Wochenende nutzen, naturverbunden auszubrechen, in die Berge fahren und in einer simplen und einfachen Form ihr Wochenende in diesen Ökolodges verbringen. Dieser Trend, denk ich, wird die Tourismus-Szene des Libanons bereichern.”

 

Und sicher auch mehr junge europäische Gäste anlocken. Die jungen Libanesen sind schon da.

 

Jacques ist ein bekannter DJ aus Beirut. Heute legt er in Mzaar auf.

 

“Deep House und ein bisschen Techno. Die Jungs hier kennen mich. Sie mögen meine Musik und haben mich gefragt, ob ich Lust habe, mal vorbei zu kommen, um für Stimmung zu sorgen. Die Libanesen mögen es, Party zu machen.”

 

Von der Wirtschaftskrise lassen sich Jacques und seine Gäste weder in Beirut, noch auf den Bergen die Laune vermiesen …

 

“Was soll ich sagen? Für uns geht das Leben weiter. Die Leute sind auch irgendwie an die Krisen gewöhnt, weißt du. Die scheren sich nicht drum.”

 

Auch Omar will einfach nur abschalten. Er sitzt im Skianzug auf der Terasse des kleinen Biergartens am Rand der Skipiste und raucht Wasserpfeife mit Freundin Leiaal. Après Ski orientalisch.

 

“Bei diesem Ausblick schmeckt die Shisha super. Wir sind hierhergekommen, um eine Runde Ski zu fahren, zu Mittag zu essen und dann fahren wir wieder.”

 

“Unsere Après-Ski-Party gibt´s dann heute Abend in Beirut.”

 

…kündigt die junge Libanesin an. Im Kneipenviertel der Hauptstadt will das Paar noch einmal auf die Piste. Dann wieder im T-Shirt, mit Blick auf die Küste.