Terroristen am ende? ISIS-Front in Syrien bricht zusammen

Dramatische Wende im Norden Syriens. Nachdem die Terrormiliz ISIS nördlich von Aleppo noch vor zwei Wochen große Geländegewinne erzielen konnte, haben am Mittwoch Tausende Terror-Kämpfer die Flucht in Richtung der Stadt Rakka ergriffen.

Bereits am Mittwochmorgen berichtete die oppositionelle Nachrichtenagentur „SMART News“, Rebellen hätten die Dörfer Kafr Kalbin und Jibrin eingenommen und somit die belagerte Stadt Marea erreicht. Marea war seit knapp zwei Wochen von ISIS eingeschlossen. Mehr als 15 000 Menschen in ihr warteten seitdem auf Nahrung und Hilfe. „Die Rebellen konnten die Straße in die eingekesselte Stadt Marea zurückerobern, nachdem sie ISIS aus den zwei Dörfern vertreiben konnten“, erklärte der Korrespondent von „SMART News“.

ISIS auf dem Rückzug bei Marea und Azaz

Kurz darauf erreichte BILD den Aktivisten Hassan (Name geändert) in der bis dato eingeschlossenen Stadt Marea. Dieser berichtete überglücklich: „Großer Erfolg für die FSA (Anm.d.Red.: „Freie Syrische Armee“). ISIS zieht sich aus vielen Städten zurück.“ Die anfänglichen Gerüchte verdichteten sich kurz darauf zur Gewissheit. Fast kampflos gab die Terrormiliz im Laufe des Tages Stadt für Stadt auf und zog bis zum frühen Abend Tausende Kämpfer aus 15 kleineren und größeren Städten in Richtung Osten ab.

Aktivist Hassan bestätigte außerdem, dass die Rebellen in Marea in den letzten Tagen mehrmals durch US-Flugzeuge aus der Luft mit Waffen und Munition versorgt wurden. Ein Novum, das auf einer Übereinkunft zwischen den USA und der Türkei beruht, wie der Aktivist sagte. Die Waffenlieferungen hielten sich aber in Grenzen und reichten bei Weitem nicht an die Unterstützung der mehrheitlich kurdischen SDF heran.

US-geführte Offensive bringt ISIS in Not

Grund für den plötzlichen Rückzug sei die Offensive der „Syrischen Demokratischen Kräfte“ (SDF) auf die Stadt Manbidsch, etwa 70 Kilometer weiter östlich. Dies gab Rami Abdulrahman von der „Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte“ in London (SOHR) bekannt.

Dort hatten seit einer Woche Tausende kurdische und arabische Truppen, unterstützt von US-Spezialeinheiten und Luftschlägen der US-geführten Koalition, ISIS in die Defensive getrieben. Beim Vorstoß auf die Stadt Manbidsch eroberten sie mehr als 50 Dörfer. Rami Abdulrahmen sagte der Nachrichtenagentur Reuters: „Es sieht so aus, als ob ISIS nicht mehrere Fronten zur selben Zeit halten kann.“

Auch von Russland und dem Iran unterstützte Truppen Diktator Assads stoßen derzeit östlich von Aleppo in Richtung der von ISIS gehaltenen Stadt Tabka vor. Dadurch und durch die SDF-Offensive weiter nördlich droht das ISIS-Gebiet in Syrien gleich an mehreren Stellen in Teilabschnitte geschnitten zu werden.
Eine Rückschlag für die Terroristen. Um dies zu verhindern, so scheint es, gab die Terrormiliz nun ihre Expansionspläne im Westen Syriens auf, um die Kerngebiete rund um Rakka und Deir Ezzor zu verteidigen.

ISIS zog Familien von der Front ab

Bereits am Samstag hatte ISIS begonnen, die Familien ihrer Kämpfer aus Manbidsch abzuziehen. Dies erfuhr BILD aus ISIS-Kreisen. In Geländewagen wurden die Familien ausländischer Kämpfer, darunter auch Deutsche, in die ISIS-Hochburgen Tabka und Rakka gebracht.

Ein deutscher ISIS-Kämpfer, der sich inzwischen in Rakka befindet, sagte zu BILD, dass es in Manbidsch zuletzt heftige Luftangriffe gegeben habe, sowohl durch Flugzeuge der Koalition, als auch von der russischen Luftwaffe. „Am Samstag kam der Befehl, die Frauen und Familien zu evakuieren.“ Innerhalb und außerhalb der Stadt gebe es Ringe beweglicher ISIS-Kontrollpunkte; nur mit den entsprechenden Papieren werde man noch durchgelassen.

Könnte Assad von der Situation profitieren?
Ein FSA-Sprecher aus Azaz erklärte BILD, er rechne dieses Mal nicht mit schnellen Gegenangriffen von ISIS. „Sie bereiten sich auf eine große Schlacht in Manbidsch vor“, sagte der FSA-Sprecher. Man sei dennoch vorsichtig und rücke langsam vor, auch wegen der Gefahr versteckter Sprengfallen.

Könnte das Assad-Regime die Situation nicht ausnutzen und nun die Rebellen in der Region angreifen?
Der FSA-Sprecher glaubt, dass es eine Übereinkunft zwischen den USA und Russland über die Einflusszonen nördlich von Aleppo gibt, weswegen das Regime vorerst nicht dort vorstoßen wird. Und die von der YPG dominierten SDF-Verbände? „Die USA werden nicht zulassen, dass die YPG uns dort angreift, denn wir sind Verbündete Amerikas“, sagte der Sprecher zu BILD.
Bombenangriffe auf Zivilisten dauern an
Im Großraum Aleppo ist unterdessen keine Beruhigung der Lage in Sicht. Russische und syrische Kampfflugzeuge und Hubschrauber griffen zahlreiche zivile Ziele an. Beim erneuten Angriff auf ein Krankenhaus in Aleppo kamen nach Angaben des syrischen Zivilschutzes 15 Menschen ums Leben, mehr als 20 wurden verletzt. Hubschrauber der Luftwaffe Assads warfen zwei Fassbomben auf die Kreuzung vor dem Al-Bayan-Krankenhaus, wie Rettungskräfte sagten.

Wahrscheinlich russische Kampfflugzeuge bombardierten gleichzeitig zahlreiche Vororte von Aleppo. Dabei setzten sie auch Streubomben und brennbare Munition (Video) gegen die Städte Anadan und Huraytan ein.

Der russische Verteidigungsminister Sergej Lawrow hatte am Montag angekündigt, die russische Luftwaffe werde Assad die „aller aktivste Unterstützung“ geben. Nur wenige Stunden später begannen die Brennmunition-Angriffe. Syrien-Experte Charles Lister schrieb bei Twitter, dass es sich um „Weißen Phosphor“ handelt könnte, eine besonders grausamen Waffe. Wenn sie Menschen trifft, brennt sich der Stoff bis auf die Knochen durch und kann nicht gelöscht werden.