Riskiert Hisbollah einen neuen Krieg mit Israel?

Mustafa Badr al-Din war der Generalstabchef der libanesischen Hisbollah. Jetzt ist er bei einer “gewaltigen Explosion” bei Damaskus ums Leben gekommen. Riskiert die Miliz einen Krieg mit Israel?

Es ist gut zwei Monate her, da soll Mustafa Badr al-Din, Generalstabchef der libanesischen Hisbollahmiliz, gesagt haben, er wolle vom Bürgerkrieg in Syrien nur auf eine von zwei Arten in den Libanon zurückkommen: als Toter oder mit der “Flagge des Siegs”. Freitagmorgen gab der offizielle Sender der pro-iranischen Miliz bekannt, Badr al-Din sei “als Märtyrer, eingewickelt in der Flagge des Sieges”, heimgekehrt.

Der zweithöchste Funktionär der mächtigen Miliz starb Mitte der Woche in einer “gewaltigen Explosion” in der Nähe des Flughafens von Damaskus. In Israel löste der Tod des international gesuchten Terroristen grimmige Zufriedenheit und unterschwellige Sorge aus. Denn dessen Ableben könnte eine gefährliche Eskalation auslösen.

Wäre nämlich Israel für die Explosion verantwortlich, könnte die Hisbollah zurückschlagen, um ihr Gesicht zu wahren. Darauf müsste Israel reagieren, um seine Abschreckung aufrechtzuerhalten – ein Krieg könnte beginnen. Der letzte Krieg zwischen beiden Seiten 2006 dauerte über einen Monat und forderte mehr als 1100 libanesische und fast 50 israelische Todesopfer. Seither wuchs das Waffenarsenal der Hisbollah auf weit über 100.000 Raketen, die jeden Punkt in Israel treffen können.

Dabei kommt nicht nur Israel als Verantwortlicher infrage. Der 55 Jahre alte Badr al-Din hatte viele Feinde. Er begann seine Laufbahn als Terrorist mit dem Ausbruch des libanesischen Bürgerkriegs in den Reihen schiitischer Kämpfer der palästinensischen Fatah. Später lief er zur vom Iran gegründeten Hisbollahmiliz über.

Laut einem Kommuniqué der Organisation war “der große Führer des Dschihad an den meisten Operationen seit 1982 beteiligt”. Dazu gehört die Vorbereitung des Selbstmordattentats auf die Kaserne der US-Marines in Beirut 1983, bei der 241 Amerikaner starben, und Attentate auf die amerikanische und französische Botschaft in Kuwait, wo er verhaftet und zum Tode verurteilt wurde.

Saddam Husseins Truppen setzten ihn nach der Eroberung Kuwaits jedoch auf freien Fuß. Er kehrte in den Libanon zurück, wo er Kommandant der Südfront wurde. Bald wandte sich der Kampf der Hisbollah politischen Gegnern im Libanon zu. Badr al-Din wurde von dem von den Vereinten Nationen unterstützten Sondertribunal für den Libanon angeklagt, im Februar 2005 im Mord des ehemaligen libanesischen Premierministers Rafik Hariri die Hauptrolle gespielt zu haben. Eine gewaltige Autobombe tötete damals zudem 22 Passanten.

Wer sind die möglichen Täter?

Den Posten als Generalstabchef erhielt Badr al-Din, nachdem sein Vorgänger und Schwager Imad Mughniyah durch eine Autobombe in Damaskus getötet wurde – angeblich die Arbeit des israelischen Mossad. Laut einem Bericht des US-Finanzministeriums befehligte Badr al-Din seit 2011 den Einsatz der Hisbollah in Syrien, wo Tausende ihrer Kämpfer auf Befehl des Iran auf Seiten des Regimes von Präsident Baschar al-Assad kämpfen. In dieser Funktion überwachte er wahrscheinlich auch die Transporte modernsten Kriegsgeräts, das der Hisbollah von Syrien und dem Iran geschenkt und vom Flughafen in Damaskus in den Libanon transportiert wurde.

Also gibt es mindestens vier Akteure mit Interesse, Badr al-Din auszuschalten: libanesische Sunniten, die sich für seine Rolle im Mordfall Hariri rächen wollten; syrische Oppositionelle; westliche Geheimdienste und Israel. Zudem könne es sich bei einem Mann, der ständig von Sprengstoff umgeben war, schlicht um einen Arbeitsunfall gehandelt haben. Die ersten arabischen Medienberichte sprachen aber von einem israelischen Luftangriff. Das wäre natürlich möglich. Israels Premier Benjamin Netanjahu hatte im April bestätigt, dass sein Land wiederholt in Syrien angegriffen hat, um Waffenlieferungen an die Hisbollah zu verhindern. Der “Tatort” in der Nähe des Flughafens von Damaskus spräche dafür, dass dies wieder der Fall war. Quellen im israelischen Sicherheitsapparat verweigerten Freitagmorgen jeden Kommentar.

Hisbollah macht einen Rückzieher

Doch später wurde die Sachlage wieder etwas unklarer. Offizielle Kommuniqués der Hisbollah sprachen plötzlich davon, dass die Umstände Badr al-Dins Todes noch geklärt werden müssten. Von Israel war keine Rede mehr. Das könnte zwei Gründe haben: Entweder war Israel tatsächlich nicht involviert, oder die Hisbollah will vermeiden, in Zugzwang zu geraten. Für eine Racheaktion gegen Israel musste man einen hohen Preis zahlen, denn die Miliz kann derzeit nichts weniger gebrauchen als eine neue Front im Süden.

Bis zu 1200 ihrer besten Soldaten – rund ein Fünftel ihrer Kampfkraft – sollen inzwischen in Syrien gefallen sein. Die Einmischung im Nachbarland hat dem Ansehen sehr geschadet. Selbst Schiiten im Libanon – lange treue Anhänger – kritisieren den Einsatz. Bräche die Hisbollah nun einen Krieg mit Israel vom Zaun, droht ihr daheim wachsende Opposition, vielleicht sogar offene Rebellion. Im Libanon, wo jeder vierte Einwohner ein syrischer Flüchtling ist, fürchtet man viel zu sehr um die eigene Stabilität, als sich einen Waffengang gegen die stärkste Militärmacht des Nahen Ostens herbeizuwünschen. Und so teilten Quellen in Israels Sicherheitsapparat der “Welt” am Freitag mit, dass man die Bereitschaft der Truppen an Israels Nordgrenze vorerst nicht erhöht habe.

Man sei dort “ohnehin bereits sehr breit aufgestellt”, hieß es. In Tel Aviv schätzt man also, dass der Tod Badr al-Dins keine Eskalation heraufbeschwören wird. Viele leidgeplagte Menschen im Norden Israels kann das kaum beruhigen. Für sie beginnt nun eine gespannte Wartezeit die zeigen wird, ob der furchterregende Nachbar im Libanon sich so verhält, wie die Planer der israelischen Armee es erwarten.