Der Wiederaufbau beginnt jetz

Angesichts Hunderttausendfachen Todes und Flucht mag die Sorge um Kultur und Kulturerbe in Syrien nachrangig erscheinen. In Berlin treffen sich aber gerade Fachleute aus aller Welt bei einer Konferenz im Auswärtigen Amt, um darüber zu beraten. Markus Hilgert, Direktor des Vorderasiatischen Museums in Berlin, erklärt im Interview, warum Kultur der Politik sogar etwas voraus hat.

 

n-tv.de: Mit dem Krieg in Syrien wurden auch unzählige Kulturstätten aller Art zerstört. Manche sagen, die Unesco stehe hier vor der größten Herausforderung ihrer Geschichte. Wie lautet Ihre Einschätzung dazu?

 

Markus Hilgert: Wenn wir uns eines Tages ein genaues Bild von den Schäden machen können, werden wir sicher feststellen, dass mehrere hundert oder tausend Kulturstätten massiv beschädigt oder zerstört worden sind. Zu diesem Ergebnis kommt auch die syrische Antikenverwaltung. In Syrien werden seit fünf Jahren kontinuierlich Kulturstätten zerstört. Das sind ja nicht nur die archäologischen Stätten, sondern alle Institutionen, die für die kulturelle Infrastruktur des Landes von Bedeutung sind. Das sind Archive, Bibliotheken, Moscheen, Kirchen – also all das, was das kulturelle Leben in Syrien ausmacht. Natürlich ist das auch eine enorme internationale Herausforderung, weil es ohne die kulturelle Infrastruktur des Landes schwierig sein wird, eine plurale Zivilgesellschaft aufzubauen. Und das muss ja das Ziel

 

Das wird häufig betont, dass Kulturinstitutionen und archäologische Stätten eine große Rolle für Versöhnung und Zivilgesellschaft nach einem Bürgerkrieg spielen. Können Sie das genauer erklären?

 

Wenn Pläne für den Wiederaufbau gemacht werden, müssen sich alle Parteien verständigen. Dieses Gespräch überhaupt zu führen, ist ein ganz wichtiger Prozess. Im zweiten Schritt muss man sich überlegen: Wo wollen wir eigentlich beginnen, was ist uns wichtig? Letztlich ist es dann die Bevölkerung vor Ort, die dafür Sorge tragen muss, dass die Kulturstätten auch längerfristig betrieben werden können. Die große Chance dabei ist: Das zivilgesellschaftliche Engagement auf lokaler Ebene ist dabei gezwungen, zum Beispiel über konfessionelle Grenzen hinweg handlungsfähig zu sein.

 

Also hat die Kultur da der Politik etwas voraus?

 

Ja, und zwar deswegen, weil die Verständigung über die eigenen Wurzeln und die der eigenen Gesellschaft tatsächlich über die Grenzen politischer oder religiöser Grundüberzeugungen hinweg funktioniert. Das ist eine Erfahrung, die wir Wissenschaftler immer wieder machen. Wir können uns tatsächlich über politische und konfessionelle Grenzen hinweg ausschließlich über sachliche Fragen im Bereich des Kulturerbes austauschen – ganz abseits von politischen Fragen. Das ist auch die große Herausforderung im Zusammenhang der Unesco-Konferenz jetzt in Berlin, dass wir uns ausschließlich auf den Schutz des Kulturerbes konzentrieren und die schwierigen politischen Implikationen hintanstellen.

 

EXPERTENKONFERENZ ZUM ERHALT DES KULTURERBES

 

Vom 2. bis 4. Juni kommen mehr als 170 Archäologen, Architekten, Stadtplaner, Denkmalpfleger und weitere Experten aus aller Welt auf Einladung des Auswärtigen Amtes und der Unesco im Auswärtigen Amt in Berlin zusammen.

 

Unter den Experten befinden sich neben Vertretern der syrischen Antikenbehörde auch zahlreiche im Exil lebende syrische Wissenschaftler.

 

Worum geht es bei der Konferenz?

 

Die Unesco beschäftigt sich seit Jahren mit Syrien, es gibt einen Aktionsplan seit dem Jahr 2014. Dieser Plan muss jetzt einmal evaluiert werden, weil sich die Bedingen in Syrien ständig ändern. Zum anderen muss man darüber nachdenken, wie es jetzt weitergehen kann. Schon heute muss zum Beispiel die nächste Generation syrischer Restauratoren ausgebildet werden. Das ist das, was die Weltgemeinschaft jetzt schon tun kann.

 

Sie haben sich im Rahmen der Konferenz mit jungen syrischen Experten getroffen. Was hatten die denn zum Beispiel für Fragen?

 

Sie haben vor allem eine sehr klare Vorstellung davon, wie sie mit ihrem Kulturerbe umgehen möchten. Ihnen ist ganz wichtig, dass die Syrer gehört werden und dass nachhaltige Lösungen gefunden werden, die über den kurzen Zeithorizont hinaus für Syrien Bedeutung haben. Dazu braucht es Kontakte, am besten ein globales Netzwerk. Für die große Aufgabe, die auf Syrer zukommt, wünschen sie sich auch Mentoren, die ihnen helfen und sie beraten.

 

Was ist besser: Wiederaufbau oder “Trümmer als Mahnmale” zu belassen, wie es mitunter vorgeschlagen wird?

 

Man muss unterscheiden zwischen archäologischen Stätten wie Palmyra und Kulturinstitutionen auf der anderen Seite. Da wird man sich bei Bibliotheken, Moscheen oder Kirchen eher für den Wiederaufbau entscheiden, vielleicht sogar moderner als vorher. Archäologische Stätten sind Orte einer eigenen Kategorie. Da muss man im Einzelfall überlegen, wie man restauratorisch oder konservatorisch an den Bauwerken arbeiten kann – um einerseits einen Eindruck davon zu erhalten, wie die Stätte einmal ausgesehen hat, und andererseits nicht etwas Künstliches zu erzeugen. Eine Möglichkeit kann sein, dass beschädigte Stätten als Mahnmale dienen, die zeigen was geschieht, wenn Terrorismus oder eine radikale Ideologie kulturelle Pluralität infrage stellen. Ein schönes Beispiel aus Berlin ist ja das Neue Museum, wo man die Kriegszerstörungen noch sehen kann. Ich könnte mir vorstellen, dass ein solcher Umgang auch in Syrien an manchen Stellen gewinnbringend wäre.

 

Haben Ihre syrischen Kollegen sich dazu geäußert?

 

Da gibt es ganz unterschiedliche Ansichten und Meinungen. Das hängt teilweise mit dem beruflichen Hintergrund und der Situation vor Ort ab. Es kann nur mit einer Bewertung von Fall zu Fall, nicht mit pauschalen Entscheidungen etwas erreicht werden. Diese zwei Punkte sind wichtig: Dass man entscheidet, was wichtig ist und dann nicht hastig vorgeht, sondern von Fall zu Fall.

 

Wurde Ihnen als Museumsdirektor schon einmal ein archäologisches Raubstück aus Syrien zum Kauf angeboten?

 

Ich beurteile grundsätzlich nur Stücke für Ermittlungsbehörden, nicht für Privatleute. Deshalb ist mir auch noch nichts angeboten worden. In jüngster Zeit werden mir aber häufiger jahrzehntealte Stücke aus dem Irak per Post zugeschickt mit der Bitte, etwas damit zu machen. Die übergebe ich dann immer an den Irak.